Schöpfungswunder
Bäume
Ich
wollt dich längst schon wieder seh'n
Mein alter Freund aus
Kindertagen
Ich hatte manches dir zu sagen
Und wusste du wirst
mich versteh'n
Als kleines Mädchen kam ich schon
Zu dir mit
all den Kindersorgen
Ich fühlte mich bei dir geborgen
Und
aller Kummer flog davon
Hab' ich in deinem Arm geweint
Strichst
du mit deinen grünen Blättern
Mir übers Haar mein alter
Freund
Mein Freund der Baum ist tot
Er fiel im frühen
Morgenrot
Du
fielst heut früh ich kam zu spät
Du wirst dich nie im Wind mehr
wiegen
Du musst gefällt am Wege liegen
Und mancher, der
vorüber geht
Der achtet nicht den Rest von Leben
Und reisst an
deinen grünen Zweigen
Die sterbend sich zur Erde neigen
Wer
wird mir nun die Ruhe geben
Die ich in deinem Schatten fand
Mein
bester Freund ist mir verloren
Der mit der Kindheit mich
verband
Mein Freund der Baum ist tot
Er fiel im frühen
Morgenrot
Bald wächst ein Haus aus Glas und Stein
Dort wo man
ihn hat abgeschlagen
Bald werden graue Mauern ragen
Dort wo er
liegt im Sonnenschein
Vielleicht wird es ein Wunder geben
Ich
werde heimlich darauf warten
Vielleicht blüht vor dem Haus ein
Garten
Und der erwacht zu neuem Leben
Doch ist er dann noch
schwach und klein
Und wenn auch viele Jahren geh'n
Er wird nie
mehr der selbe sein
Mein Freund der Baum ist tot
Er fiel im
frühen Morgenrot.
Alexandra
Bäume sind für mich immer die eindringlichsten
Prediger gewesen. Ich verehre sie, wenn sie in Völkern und Familien leben, in
Wäldern und Hainen. Und noch mehr verehre ich sie, wenn sie einzeln stehen. Sie
sind wie Einsame. Nicht wie Einsiedler, welche aus irgendeiner Schwäche sich
davongestohlen haben, sondern wie große, vereinsamte Menschen, wie Beethoven
und Nietzsche. In ihren Wipfeln rauscht die Welt, ihre Wurzeln ruhen im
Unendlichen; allein sie verlieren sich nicht darin, sondern erstreben mit aller
Kraft ihres Lebens nur das Eine: ihr eigenes, in ihnen wohnendes Gesetz zu
erfüllen, ihre eigene Gestalt auszubauen, sich selbst darzustellen.
Nichts ist
heiliger, nichts ist vorbildlicher als ein schöner, starker Baum. Wenn ein Baum
umgesägt worden ist und seine nackte Todeswunde der Sonne zeigt, dann kann man
auf der lichten Scheibe seines Stumpfes und Grabmals seine ganze Geschichte
lesen: in den Jahresringen und Verwachsungen steht aller Kampf, alles Leid,
alle Krankheit, alles Glück und Gedeihen treu geschrieben, schmale Jahre und
üppige Jahre, überstandene Angriffe, überdauerte Stürme. Und jeder Bauernjunge
weiß, daß das härteste und edelste Holz die
engsten Ringe hat, daß hoch auf Bergen nd in immerwährender Gefahr die unzerstörbarsten,
raftvollsten, vorbildlichsten Stämme wachsen.
Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen
zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit. Sie predigen nicht Lehren und
Rezepte, sie predigen, um das Einzelne unbekümmert, das Urgesetz des Lebens.
Ein Baum spricht:
In mir ist ein Kern, ein Funke, ein Gedanke verborgen, ich bin Leben vom
ewigen Leben. Einmalig ist der Versuch und Wurf, den die ewige Mutter mit mir
gewagt hat, einmalig ist meine Gestalt und das Geäder meiner Haut, einmalig das
kleinste Blätterspiel meines Wipfels und die kleinste Narbe meiner Rinde. Mein
Amt ist, im ausgeprägten Einmaligen das Ewige zu gestalten und zu zeige7
Ein Baum spricht: Meine Kraft ist das Vertrauen. Ich weiß nichts von
meinen Vätern, ich weiß nichts von den tausend Kindern, die in jedem Jahr aus
mir entstehen. Ich lebe das Geheimnis meines Samens zu Ende, nichts andres ist
meine Sorge. Ich vertraue, daß Gott in mir ist. Ich vertraue, daß meine Aufgabe
heilig ist. Aus diesem Vertrauen lebe ich.
Wenn wir traurig sind und das Leben nicht mehr gut ertragen können,
dann kann ein Baum zu uns sprechen: Sei still! Sei still! Sieh mich an! Leben
ist nicht leicht, Leben ist nicht schwer. Das sind Kindergedanken. Laß Gott in
dir reden, so schweigen sie. Du bangst, weil dich dein Weg von der Mutter und
Heimat wegführt. Aber jeder Schritt und Tag führt dich neu der Mutter entgegen.
Heimat
ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir innen, oder nirgends.
Wandersehnsucht reißt mir am Herzen, wenn ich Bäume
höre, die abends im
Wind rauschen. Hört man still und lange zu, so zeigt auch die
Wandersehnsucht
ihren Kern und Sinn. Sie ist nicht Fortlaufenwollen vor dem Leide, wie
es
schien. Sie ist Sehnsucht nach Heimat, nach Gedächtnis der Mutter,
nach neuen
Gleichnissen des Lebens. Sie führt nach Hause..
Hermann Hesse