Maja



Die östliche Weisheit definiert die menschliche Erlebniswelt als dualistisch, kultur- und zivilisationsprägend spaltend und nennt sie maja. Maja ist die Auflösung schöpferischer Dualität (Ganzheit) in feindlich spaltenden Dualismus (Gegensatz). Objektiver Einsicht erschließt sich ohne Mühen, dass die von Menschen erfahrbare Dualität der Welt wie Werden (Vergehen), Licht (Schatten), Ebbe, (Flut) u. s. w. sich menschlichem Zugriff entzieht, emotionale Erfahrungen aber wie Krankheit, Freude, Leid, Gier, Lust, Hass, u.a. dualistishem Wandel durch  den Menschen unterliegen.  

Seine Gier und süchtig nach ihrer Befriedigung erschafft er sich stets andere Bedürfnisse. In seinem Begehren nach materiellem Überfluss und entzieht er die natürlichen Ressourcen des Planeten, raubt ihn aus, verbrennt und zerstört ihn. Von illusionärem Wahn geblendet strebt er danach, sich über die Natur aufzuschwingen, sie sich zu unterwerfen und sie bis zur Verwüstung auszubeuten. Unter dem Druck menschlicher Überwältigung verelendet die Biosphäre. Karzinomen gleich fressen sich urbane Herde von Fäulnis, Brand und Zerfall, Brutstätten entzündlicher Prozesse, in den Planeten. Verbunden durch immer engmaschigere, immer schneller und hektischer frequentierte Transitkanäle wuchern Infektionsherde, dynamisch expandierende Metastasen.

In immer schnelleren Zyklen, unter immer bedrohlicherem Aufbäumen der geschundenen, vergifteten, ausgelaugten Natur treibt der Mensch den Planeten dem Infarkt entgegen. Als viraler Erreger tödlichen Zerfalls betreibt er die Lähmung des planetaren Immunsystems, bricht und umgeht jeden Widerstand gegen seine ungehemmte und grassierende Ausbreitung.

Seine Feindseligkeit gegen die Natur, seine Getriebenheit, sich von natürlichen Wurzeln zu lösen, seine Entschlossenheit, die Evolution seinem Willen zu unterwerfen, und in Summe dessen seine Feindschaft gegen sich selbst, liefert ihn Vereinsamung und gesellschaftlicher Verödung aus. Seine widernatürlich überreizte Sinnenbezogenheit lässt ihn seine Welt im Gegensatz zu seinen Idealen als eine Welt des Widerstreits, der Spaltungen und der grundsätzlichen Disharmonie erfahren.

Die Welt, wie sie der Mensch sieht, wie er sie erfährt und wie er sie begreift, ist eine dualistische Illusion, sie ist nicht die Wahrheit des Seins. Die absolute Wahrheit bleibt dem Menschen auf immer verborgen hinter den illusionären Schleiern der Maya.

Der seine Welt dualistisch begreifende Mensch kann die Wahrheit als Eigenschaft des Absoluten nicht erkennen, er kann sie denken, wie Kant es formuliert. Jegliches vom Menschen Gedachte aber verweht sogleich im Schleier duralistischen Erkenntniswillens und damit seines dualistischen Denkens, wird Gegenstand des Widerstreits, der Spaltungen und der grundsätzlichen Disharmonie.

Mit seinem Tun und Streben und mit seiner Selbsterklärung, die Evolution habe mit der Hervorbringung seiner Spezies Ihren End- und Zielpunkt5 realisiert, stellt sich der Mensch jedoch in Widerspruch und Gegensatz zu der kosmischen Evolution und postuliert, diese. Seine Intelligenz, seine Befähigung zu Intuition, zu Selbstreflexion und Geschichtlichkeit, zu Sprache und Kunst, zu wissenschaftlicher Abstraktion, Analyse und Synthese, zu rationaler Vernunft und spirtuell-transformativer Spekulation weise ihn, so postuliert er, als Spitze der Evolution aus und stelle ihn in das Zentrum der gesamtkosmischen Natur. Alles was ist, sei für ihn da und er selbst sei Beherrscher des Planeten und des Kosmos.

Er betrachtet sein Wissen von sich selbst, sein Selbstbewußtsein also, als einmaliges und nur ihm wesentlich eigenes Qualitätsmerkmal, das die entwicklungsgeschichtliche Überschreitung des tierhaften Sinnesbewußtseins definiert. Das menschliche Selbst- und Ich-Bewußtsein transformiert seinen Träger damit zu einem sich nach außen abgrenzendes Individuum, dessen überragende Fähigkeit darin besteht, einen Unterschied zu machen zwischen dem, was es selbst ist und dem, was etwas anderes ist.

Dass die dualistischen Verbrechen der Menschheit gegen das Leben und gegen die Schöpfung als Ganzes jede herausragende Qualifizierung dieser Art verbieten, auch in Lehrbüchern und Universitäten ausschließen müssen, ist der Verantwortung der Menschheit geschuldet. Jeder unvoreingenommener Blick auf andere Wesen läßt vor allem bei den hoch entwickelten Säugetieren individuelle Sensibiltiät erkennen.

Die Weisen des Ostens sagen, es gibt nur einen Weg, sich aus den Verzauberungen und Verstrickungen von Maya zu befreien. Das ist der Weg ihrer rationalen und spirituellen Auflösung im Bewusstsein, das die Gesamtheit menschlichen Erlebens repräsentiert und die Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt begleitet. Um diesen Weg zu gehen, ist Wissen und Einsicht vonnöten, dass die Täuschungen von Maya, so sehr sie auch in ausschließlich menschlicher Relevanz erfahren werden, auch dem Weltganzen angehören und den kosmischen Gesetzen unterworfen sind. Aus dieser Tatsache lassen sich die Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien von Maya erschließen und deren Auflösung durch Wissen und Erkenntnis erwirken.

Die zweite Bedingung, den Weg der Befreiung aus den Verzauberungen vo Maya zu gehen, um sie sowohl rational wie spirituell aufzulösen, ist der Wille des Individuums, das Sein und seine Umstände nicht passiv als „Schickung“ zu missdeuten und so zu erfahren, sondern das personale „Ich“6, als wesentliche Quelle und illusionäre Ursache von Maya zu erkennen, in Frage zu stellen und letztendlich zu überwinden. Denn das „Ich“ erweist sich darin als illusionäres Schemen, dass es die Welt dualistisch gespalten wahrnimmt in sich und das Andere, dass es also nicht eingebettet ist in das duale System des Weltganzen, dass es sich exzentrisch von der Natur und ihren Gesetzen emanzipiert und dass es ihm in Folge dessen an der Fähigkeit gebricht, den Vektor der natürlichen Evolution zu akzeptieren und sich statt dessen zu ihm in überheblicher und feindseliger Opposition verhält.

Aus dualistischer Selbsterfahrung heraus ist das „Ich“ nicht imstande, die Ganzheit der dualen Weltordnung, wie sie z.B. in der gegenseitigen Bedingtheit von Werden und Vergehen, Geburt und Tod, Glück und Leid, Licht und Finsternis repräsentiert ist, zu erkennen und flüchtet, um den aus seiner Schizophrenie aufsteigenden Urängsten zu entgehen, in gierhafte materielle Genussbefriedigung und transzendentale Heilsspekulationen, Heilshoffnungen und Heilserwartungen.

Für den Buddhismus, der sich wie viele andere östliche Weisheitsrlehren sehr intensiv mit der Seins- und insbesondere mit der Bewußtseinsthematik auseinandersetzt, sind Wesen, die der Ebene der Tiere angehören, eingeschlossen den nicht spirituellen Menschen, mit Sinnesbewußtsein und Selbstbewußtsein ausgestattet.

Die wirklich menschliche Qualifikation wird nach der Lehre des Buddhismus erst erreicht, wenn das menschliche Einzelwesen darüber hinaus gehend spirituelles Bewußtsein entwickelt und daraus transzendentes Bewußtseins entfaltet. Auf der Ebene des Sinnes- und Sebstbewußtseins zeigt sich allerdings die menschliche Individualität in einer ganz spezifischen, weitergehenden Form der Wahrnehmungsfähigkeit als in der Tat einmalig.

Denn bei keiner anderen Spezies sonst befinden sich die beiden Identitätspole, das Selbstbewußte und der Körper, mit seinen elementaren, von der Natur gesteuerten Bedürfnissen, Trieben und biologischen Mechanismen, dem instinktiv Naturhaften, in einem Zustand scharfer dualistischer Gespaltenheit, wie beim Menschen.

Diese Spaltung hat sich in der Ausformung des Ich-Bewußten@ manifestiert, das mit dem eigenen Körper, den es als zweite Identität des menschlichen Einzelwesens empfindet, und der Außenwelt in einer komplexen und dominant reflektierenden Wechselbeziehung steht. Im Gegensatz dazu wird das Verhalten der beiden Pole, Selbstbewußtsein und Körper, bei allen nichtmenschlichen Spezies von Ganzheitlichkeit und natürlicher Ausgeglichenheit des in sich ruhenden ungespaltenen Einzelwesens bestimmt.

Inwieweit das Ich-Bewußte in seiner Begrenztheit und Unvollkommenheit und mit seinen schizophrenen Dissonanzen nicht eine entwicklungsgeschichtliche Fehlentwicklung ist, sondern ein Prozeß des Herantastens der Evolution an die Ausfaltung des spirituellen und transzendenten Bewußtseins, kann angesichts des Zustands der menschlichen Gesellschaft und des Planeten wohl nur eine Sache der Entwicklung einzelner Individuen und nicht die zu erwartende Zukunft der menschlichen Spezies insgesamt sein.

Die spirituelle Weisheit des Lao tse, des Buddha, der vedantischen und hinduistischen Philosophie wie auch die christliche Mystik lehren schon seit Jahrhunderten und Jahrtausenden uni sono, daß das Ich-Bewußte als sich dem menschlichen Wesen dominant implementierende Grundübel die Ausfaltung von Spiritualität und transzendentem Bewußtsein und damit die als Erlösung herbeigesehnte Wiedererfahrung der Harmonie mythischer Ganzheitlichkeit hemmt und beinahe unüberwindlich erschwert.

Denn einerseits grenzt sich das Ich-Bewußte von der als das gegensätzlich Andere empfundenen Natur seiner selbst und der Umwelt ab und sperrt den Menschen insgesamt aus dem - zwar zur Gänze unreflektierten, aber dennoch vollkommenen - natürlichen Gleichgewicht aus. Andererseits kann der Mensch den ihm daraus erwachsenden traumatisierenden Erfahrungen kosmischer Einsamkeit, existenzieller Leere, quälender Ruhelosigkeit und latenter Unzufriedenheit nicht wirklich entgehen.

Um seine leidvolle Existenz ertragen zu können, schreitet der Mensch nicht etwa sinngebend auf der Linie der Evolution weiter und überwindet das ihn hemmende Ich-Bewußte, idem er das keimhaft ja schon vorhandene spirituelle Bewußtsein entfaltet. Statt dessen gibt er sich dem Ich-Bewußten zur Gänze hin, das rückwärts gewandt den erkennbaren Vektor der Evolution verläßt und sich auf die Erlebnisebene der Sinne, der Triebe, der materiellen Effekte und Dinge fokussiert, um sich an ihnen berauschend das Elend seines entleerten Daseins nicht wahrzunehmen.

Da jedoch alle Gegenstände dieser Erlebnisebene der physikalischen Welt, der Welt der Formen, Gestaltungen, Erscheinungen und mentalen Wahrnehmungen angehören, sind sie dem ununterbrochenen Wandel und dem Prozeß ständigen Werdens und Vergehens unterworfen, also nicht von Dauer und ohne Bestand. Ihre verlockenden Aspekte von Glück und Wohl-Sein und alle Visionen von Harmonie und Frieden innerhalb einer selbst geschaffenen perfekten Menschenwelt entpuppen sich deshalb früher oder später als Selbstbetrug und bare Illusion.

Dies durchaus realisierend stachelt die unüberwindbare Flüchtigkeit der ihm verfügbaren Mittel den Menschen jedoch zu ausschweifenden Befriedigung seiner Sinne und Bedürfnisse an. Er setzt dazu seine körperlichen Sinne und sein Mental ungeheuren Reizüberflutungen aus, permanent intensiviert durch die fortschreitende Perfektion technischer Instrumente. Süchtig danach, jeder vitalen Funktion Bedürfnisse hinzuzufügen, die über alles natürliche Maß hinausgehen, um sich an ihrer Befriedigung zu berauschen, gerät auch das somatische System aus dem Gleichgewicht, die Sinnes-, Wahrnehmungs- und Reizorgane erkranken an ihrer Überforderung, ihre Fähigkeiten Genuß zu vermitteln, verschleißen, sie bedürfen dynamisch steigernder Stimulationen.

Von glückhaften Vorstellungen und gierhaften Süchten gejagt wird der Mensch selbst zum fanatischen Jäger nach Glück und Genuß, Ruhm, Ehre, Macht, Einfluß und Herrschaft, gepaart mit materiellen Errungenschaften und Besitz. Parallel steigert sich die Perversion der Ich-Bezogenheit seines Bewußtseins und vertieft damit die Kluft zwischen diesem und dem materiellen Körper. Der Kreis schließt sich wieder in dem Gefühl kosmischen Ausgeliefertseins, schmerzlich vermißter Harmonie und einer Spannung, die seine Identität zerreißt.

Glück und Genuß, das heißt ein Maximum an Lust, worunter die Befriedigung aller Wünsche oder subjektiven Bedürfnisse, die ein Mensch haben kann, zu verstehen ist, wuchert verlogen zum idealen Ziel, zum naturgewollten Inhalt menschlicher Existenz. In welchem gravierenden Ausmaß dies vor allem die westliche Zivilisation prägende Existenzmotiv auf Selbstbetrug und Illusion basiert, erweist sich indessen nicht nur in der Natur der Dinge, sondern auch darin, daß Glück und Genuß nur im Rahmen eines perversen Systems erreicht wird, dessen Existenz von Egoismus, Selbstsucht und Habgier gefördert und mit Beraubung, Unterdrückung und Unterwerfung, also mit dem Unglück anderer, sei es Mensch oder Tier, am Leben gehalten werden muß.

So unterliegt der Mensch der unablässig leidvollen Erfahrung, daß schrankenlose, gierhafte und skrupellose Befriedigung depressive Enge heraufbeschwört, daß statt zu dem ersehnten Wohl-Sein zu führen; daß die Sehnsucht, von der Natur unabhängige Herren des Lebens zu sein von der allgegenwärtigen Drohung des unausweichlichen Todes begrenzt wird; daß der Traum von individuellen Werten und Rechten in Wahrheit das Kalkül einer undurchschaubaren globalisierenden polit- und finanzbürokratischen Megamaschine ist; daß die individuelle Freiheit in Denken und Handeln in Bezug auf die Bedürfnisbefriedigung in Abhängigkeit steht von Industrie- und Staatsapparaten und Manipulationsobjekte sind von psychologisch subtil agierenden Massenmedien, daß Wohlstand und Fortschritt Beraubung und Unterwerfung anderer voraussetzt; daß ideologischer, materieller, industrieller und wissenschaftlicher Fortschritt stets ökologische, soziale, ethische und ethnische Gefahren und Katastrophen entwickelt.

Glück, wie es der Mensch als Idealzustand erjagt, ist in der Natur nicht vorgesehen, es ist eine bloßes Schemen, ein Nichts, die trügerische Erfindung einer ungeheuer begabten, ungeheuer heruntergekommenen, aus dem natürlichen Gleichgewicht der Gegensätze geratenen Kreatur aufgrund ihrer eigenen schizophrenen Existenzprämissen.

Leid - die konsequente Alternative
Der Buddha erzählte seinen Freunden, was ihn dazu veranlaßt hatte, aus dem Leben eines mit Glück, Wohlstand, und vollständiger Bedürfnisbefriedigung und einer glänzenden Zukunft reich beschenkten jungen Menschen vollständig und ohne Rückwendung ausstieg: AAuch ich begehrte vor dem Erwachen, als ich noch ichgebunden war und daher der Geburt unterlag, das, was ebenfalls ichgebunden war und daher der Geburt unterlag. Selbst dem Altern, Siechtum, Sterben, der Sorge und Unreinheit ausgeliefert, verlangte ich nach dem, was ebenfalls dem Altem, Siechtum, Sterben, der Sorge und Unreinheit ausgeliefert war. Da fragte ich mich: *Warum strebe ich, der ich selbst allen diesen Dingen ausgeliefert bin, dennoch nach ihrem Besitz? Warum suche ich, der ich Geburt, Alter, Verfall, Tod, Sorge und Unreinheit unterliege, nicht das Ungeborene, Nicht-Alternde, Nicht-Verfallende, das Todlose, Sorgenfreie, Reine, den höchsten Schutz vor den Fesseln...

Deutlich zeigt der Text einesteils das schicksalhafte Anhaften des Ich-Bewußten an alles, was unbeständig, dem unaufhaltsamen Wandel und Verfall und daher folgerichtig leidvoll ist, und andererseits den einfachen Umkehrschluß, der die Lösung des Leidproblems einerseits und die Eigenverantwortlchkeit des Individuums dafür bloßlegt, andererseits. Leid erfahren die Menschen während ihres Lebens in vielfältiger Form und als Konsequenz ihres Durstes nach dem Besitz zahllosen Objekte ihres Begehren: materielle Dinge, Wohlergehen, Glück, Macht und Einfluß bis hin zu ungebrochener Jugend und Gesundheit, Liebe ohne
Zeitverschleiß, langes, wenn möglich ewiges Leben u.s.w..

Wird der Durst nicht gestillt, die Erfüllung des Begehrens gehemmt oder verhindert, was allgemein gesehen als Konsequenz menschlichen Zusammenlebens, der Verflechtung des Menschenlebens in die natürlichen Prozesse und der wechselnden Gesamtkonstitution des Individuums unvermeidlich ist, dann empfindet das Ich- Bewußte den Entzug der Befriedigung als Leid, weil die traumatischen Urängste menschlichen Verlorenseins ungefiltert hervorbrechen können.

Eine andere Ursache für die Allgegenwärtigkeit von Leid liegt in der Natur der Dinge selbst, die der sinnes- und selbstbewußte Mensch begehrt. Jede Sinnes­Willens- und Triebbefriedigung, jede materielle Seinsform, alles was dem Zugriff dem menschlichen Wahrnehmungsvermögens gegenüber offen ist, wird begrenzt von den polaren Gegensätzen des Anfangs und des Endes, des Aufstiegs und Abstiegs, des Aufgangs und des Untergangs, des Werdens und Vergehens, der Lust und des Leids, dem Geborenwerden und dem Sterben, del Leben und dem Tod. Ein kompromißloses Gesetz regelt es so, daß polare Gegensätzlichkeit allem Unbeständigen immanent ist, oder wie es der Buddha formuliert: "Was unbeständig ist, ist leidvoll.

Es ist daher eine fatale Sichtweise des begrenzten Ich- Bewußten, Krankheit, Sterben, Entzug, Schmerz, Einsamkeit, Kummer u.s.w. als je für sich zu nehmende Formen des Leides zu sehen, deren Eintritt der Mensch durch Ignoranz, Lebensrausch und Genußsucht, materieller Sicherheit, gesundheitlicher Disziplin und trickreicher Selbstbehauptung ins ungewisse Irgendwann und Vielleicht hinausziehen oder sich gar vollends entziehen könne. Denn Leid, das ist der polare Gegensatz des Glücks, der Freude, des Wohlseins, der Befriedigung. Wer könnte es ernsthaft leugnen, daß in der Sekunde der freudigen Geburt der Weg in den Sarg beginnt. Oder daß die kreative Impulsivität einer frühen Liebe eher früher als später im impotenten Gleichmaß der Gewohnheit versickert. Oder daß die jubelnde Freude schon im Vorauswissen ihrer kurzen Begrenztheit den Keim der Trauer in sich birgt.

Leid ist die unausweichliche Konsequenz der totalen Auslieferung des Ich-bewußten an die universale Vergänglichkeit, an die Flüchtigkeit und Unbeständigkeit der Welt der sinnlichen und mentalen Wahrnehmungen und Empfindungen, an Personen, Ereignisse und Erfahrungen. Ein Blick auf die menschliche Gesellschaft bestätigt dies: Je dynamischer die Geldherrschaft und Wirtschaftsprozesse hin zu allgemeinem und zozialen Wohlstand sich entfalten und das Leben des Individuums konsumtiv beeinflussen, je intensiver ethnische, nationale und religiöse Perspektiven sich ideologisch etablieren, desto notorisch unglücklicher, einsamer, von Ängsten gequälter, deprimierter und abhängiger sind die menschlichen Individuen, desto destruktiver entwickeln sich die gesellschaftlichen Beziehungen hin zu Kriminalität und kriegerische Auseinandersetzungen