Originalbericht Tagesschau.de – 23.08.22
Bei vollem Bewusstsein getötet
Formatierte Kopie am 23.08.2022 15:15 Uhr
Das ARD-Politikmagazin Report Mainz hat massive Tierquälereien in einem
baden-württembergischen Regionalschlachthof aufgedeckt. Unter dem Druck der
Recherchen schloss das Unternehmen vorerst den Betrieb.
von Edgar Verheyen, SWR
Es sind brutale Szenen, die Tierschützer der Tierrechtsgruppe SOKO
Tierschutz in dem Schlachthof der Metzgerei Kühnle in Backnang nördlich von
Stuttgart dokumentieren konnten. Von Mai bis Juli hatten sie an acht
Schlachttagen in dem Regionalschlachthof Kühnle im Rems-Murr-Kreis Kameras
installiert. Sie zeichneten auf, wie in dem Betrieb Rinder geschlachtet werden.
Zu sehen ist zunächst die Betäubung der Tiere. Liefe es korrekt, wären
die Tiere nach dem aufgesetzten Bolzenschuss tiefenbetäubt. In diesem Betrieb
jedoch brechen sie in den dokumentierten Fällen zunächst zusammen und zeigen
nach wenigen Sekunden heftige Abwehrreaktionen. Die Tiere werden dann an einer
Kette hochgezogen, hängen mit dem Kopf nach unten. Jetzt sollte eine rasche
Entblutung folgen durch das schnelle Öffnen der Hauptblutgefäße, so ist das
gesetzlich vorgeschrieben.
In Backnang jedoch treffen die Schlachter - nach den Aufnahmen - häufig
die Hauptschlagader des Rindes nur unzureichend. Minutenlang verbluten die
Tiere an der Kette hängend, drehen sich im Kreis, strampeln, wehren sich, bis
der Todeskampf irgendwann zu Ende ist.
Als Report Mainz vor einer Woche die Verantwortlichen und die Anwälte
der Metzgerei Kühnle mit den Aufnahmen konfrontiert, entschließt sich das
Unternehmen zum sofortigen Handeln. Der Schlachtbetrieb wird vorerst
geschlossen. Zwei auf den Aufnahmen zu erkennende Mitarbeiter werden
freigestellt. Ihre Bezüge laufen jedoch weiter, teilt das Unternehmen mit. Man
wolle aufklären und habe einen Gutachter beauftragt, die Vorwürfe zu prüfen.
Die Entscheidung zum Schließen sei eine freie unternehmerische Entscheidung
gewesen.
In einer Pressemitteilung teilt die Firma mit: "Die Produktion von
Wurstwaren und der Verkaufsbetrieb in den 16 Filialen läuft ohne Einschränkung
weiter. Als Familienunternehmen in vierter Generation war und ist der Anspruch
des Unternehmens und der rund 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nur
Produkte und Waren von höchster Qualität anzubieten. Hierfür stehen wir ein.
Genauso stehen wir für mögliche Fehler ein und werden alle notwendigen
Maßnahmen ergreifen, um solche für die Zukunft mit Sicherheit
auszuschließen."
Das Unternehmen kündigt zudem an, seine Mitarbeiter künftig intensiver
zu schulen.
Tierquälereien stellen laut Gutachter Straftaten dar.
Report Mainz hatte zuvor den Bundesvorsitzenden der
Bundesarbeitsgemeinschaft Fleischhygiene, Tierschutz und Verbraucherschutz, Kai
Braunmiller, um eine gutachterliche Prüfung der Aufnahmen gebeten. Der
Fachtierarzt für Tierschutz und Veterinärdirektor aus Bayreuth geht mit dem
Schlachthof hart ins Gericht: "Das ist das Zufügen von länger anhaltenden
erheblichen Schmerzen und Leiden, die unnötig sind", sagt er. "Das
ist für mich ein Straftatbestand, weil keiner hier ein Interesse zeigt, die
Reflexe zu kontrollieren."
Braunmiller sagt weiter: "Da muss der Betrieb auf jeden Fall
vorübergehend geschlossen werden und darf dann nur wieder in Betrieb gehen,
wenn nachgewiesen wurde, dass man jetzt die Rechtsvorgaben so umsetzt, wie das
zwingend ist."
Auch die Tierrechtsgruppe SOKO Tierschutz sieht den Fall wegen des
Verhaltens des Veterinäramtes kritisch. "Es gibt wieder brutale Gewalt,
technisches Versagen, inkompetente Mitarbeiter und das alles mit bester
Überwachung des Amtes, sogar mit den extra geforderten Videokameras
dafür", sagt Friedrich Mülln.
Amtlicher Veterinär beteiligt sich an Tierquälereien
Durch die Aufnahmen fällt ein weiteres Detail auf, auf das Mülln
hinweist. Zu sehen ist auch der Zutrieb der Rinder in die sogenannte
Betäubungsfalle. Ein Schlachthofmitarbeiter treibt die Tiere mit einem
Elektrotreiber vorwärts - nach Ansicht von Braunmiller unverhältnismäßig und
rechtswidrig. Auch dieser Bereich wird von einem amtlichen Veterinär überwacht,
der auf den Aufnahmen deutlich zu erkennen ist. Und er greift zum
Elektrotreiber und hilft, die Tiere in die Betäubungsfalle zu treiben.
"Das darf so nicht passieren
und muss eigentlich von Seiten des Veterinäramtes auch Konsequenzen
haben", sagt Braunmiller. "So einen Mitarbeiter könnte ich bei mir
nicht weiter beschäftigen."
Kühe in Deutschland
müssen immer mehr Milch geben, das macht viele Tiere krank, sie werden
"aussortiert". Behörde räumt Rechtsverstöße ein.
Report Mainz hat auch das zuständige Veterinäramt mit den Filmaufnahmen
konfrontiert. Thomas Pfisterer, Leiter der Behörde, räumt auf das Agieren des
amtlichen Veterinärs angesprochen ein, dass dieses Verhalten nicht zulässig
sei. Man wolle jetzt mit dem Mitarbeiter sprechen und prüfen, ob Maßnahmen einzuleiten
seien. Der Fall wurde inzwischen bei der Staatsanwaltschaft angezeigt.
Gegenüber Report Mainz gibt das Veterinäramt an, schon seit zwei Jahren
den Betrieb zu überprüfen. Man habe ein Verwaltungsverfahren gegen die
Metzgerei eingeleitet und Zwangsmaßnahmen angeordnet. Man habe den Fall aber
nicht so beurteilt, dass man den Betrieb hätte schließen müssen. Man sei auf
einer Eskalationsskala gewesen und hätte den Betrieb nach weiteren Maßnahmen
vielleicht in zwei bis vier Wochen geschlossen.
In Baden-Württemberg ist der Fall in Backnang inzwischen der vierte Fall
von Tierquälerei in einem Schlachthof in fünf Jahren, der von Tierschützern
aufgedeckt wurde. Bundesweit ist es der sechzehnte in diesem Zeitraum. Und
häufig sind amtliche Veterinäre nicht eingeschritten.
"Kontrolle von Schlachthöfen ist Ländersache"
Report Mainz hat auch das Bundeslandwirtschaftsministerium mit dem Vorgang
konfrontiert. Die Kontrolle von Schlachthöfen sei Ländersache, teilt eine
Sprecherin des Ministeriums mit. Man prüfe jedoch eine Ausweitung von
Videoüberwachungen in Schlachthöfen. Auch das Landwirtschaftsministerium in
Stuttgart teilt mit, man habe nach den Skandalen der vergangenen Jahre einen
ganzen Maßnahmenkatalog beschlossen, um den Tierschutz in Schlachthöfen zu
verbessern.
"Alles, was dieses Geschlecht den hilflosen Tieren
angetan hat aus Roheit, aus Torheit, aus Übermut, aus Bosheit - es komme
zurück.
Aller Vorteil, den der Mensch grausam aus
schwächeren Geschöpfen ziehen will, verwandle sich in Unheil, und die furchtbaren Sünden, die an Tieren
begangen wurden, die unendlichen, schreienden, stummen Klagen der gepeinigten
Kreatur, sie haben sich verdichtet zu einem Fluch, und das Verhängnis wird
sich erfüllen."