Die Welt, in der Jesus lebte, war alles andere als ein frommer
Gotteswinkel, in dem man freudig entzückt dem Gesetz lebte, in
Bibelversen dachte und nichts anderes als den Bund Gottes im Kopfe
hatte. Eine reale politische Sicht zeugte in dieser Welt nicht nur von
Klugheit, sondern war schlicht überlebensnotwendig.
Denn es herrschten Ausbeutung, Armut, Korruption, intellektueller
Fanatismus und soziales Kastendenken. Ununterbrochen fegten
blutige Aufstände durch die jüdischen Lebensräume und
führten in nicht endende Zerfallsprozesse.
Das Volk litt unter religiöser Orientierungslosigkeit. Eine wahre
Inflation bunt schillernder, messianischer Erwartungen
überlagerte die alten prophetischen Kündungen. Im
Gemenge mit der bedrückenden politischen Aktualität
betäubte sie die natürlichen Kräfte für
Realität und Zukunftsgestaltung.
Jesus warnt vor dieser Entwicklung eindringlich und sieht
politisch hellsichtig das bedrohliche Ende heraufziehen. Und was
den politischen Messianismus betrifft, mahnte er: Wenn jemand
behauptet, hier oder da ist der Messias, glaubt das nicht! [viii]
Wenn sie zu euch sagen, schaut in der Wüste ist er, dann geht
nicht da hin. Und wenn man sagt, in jenem Raum ist er, glaubt es
nicht! [ix] Es werden viele Messiasse auftreten.[x]
Eine zeitgenössische Studie bestätigt Jesus erstaunlich genau
und beschreibt die Zustände im jüdischen Kerngebiet, dem
orthodoxen Judäa folgendermaßen. "So war
Judäa eine wahre Räuberhöhle. Wo sich nur eine Schar von
Aufrührern zusammentat, wählten sie gleich
Könige", die "gegen ihre eigenen Landsleute weit und
breit mit Mord und Totschlag" wüteten.[xi]
Eine andere Stelle erwähnt einen alten Soldaten namens Teron. Der
lief durch die Straßen Jerusalems und rief: Das Recht ist zu
Boden getreten, Die Wahrheit untergegangen, es herrscht die Lüge
und Bosheit. Die Natur ist verkehrt. Das Maß der
Ruchlosigkeit ist voll. Aber eine Wolke verhüllt die
Leiden der Menschenwelt vor den Augen der Frevler.[xii]
Wer die Werke des antiken Historikers und römischen Juden, Flavius
Josephus, liest, hat in weiten Zügen den Eindruck, daß das
schmale Land zwischen Ägypten und Syrien nie aufgehört hat,
eine Sumpfgrube menschlichen Blutes zu sein.
In diese Welt extremer staatlicher, kultureller und
gesellschaftlicher Zerrüttung stellt Joseph Klausner Jesus
mit den folgenden erstaunlichen Worten. Jesus von Nazareth
war allein das Produkt Palästinas und des reinen,
unvermischten, von keinerlei fremden Einfluß
berührten Judentums.[xiii]
Man fragt sich, von welchem Palästina der jüdische Professor
für Literaturwissenschaften spricht. Wenn selbst Judäa, das
damalige Zentrum der jüdischen Orthodoxie, Liturgie und
Politik kein ideal-jüdischer Ort war, wie sollte es das
ferngelegene Galiläa gewesen sein, wo Jesu herstammte?
Das landschaftlich schöne Galil war nie ein rein
jüdisches Siedlungsgebiet gewesen. Noch zweihundert
Jahre vor Jesus existierte dort ein unübersehbares
Konglomerat von Medern, Arabern, Griechen, Phöniziern,
Aramäern und Israeliten.[xiv]
Erst 100 Jahre vor Jesu Geburt eroberten die Makkabäer das
Ländchen für die Juden. Sie judaisierten den heidnischen
Bevölkerungsanteil mittels Zwangsbekehrungen. Den Menschen
wurde die Beschneidung und die Verpflichtung auf das jüdische
Gesetz abgenötigt.[xv]
Zusätzlich siedelte man Juden aus dem orthodoxen Judäa nach
Galiläa um, damit die einflußlose jüdische
Minderheit gestärkt wurde. Zwar hatten diese Maßnahmen
Erfolg und man nimmt an, daß in den Tagen Jesu die
überwiegende Bevölkerung des Galils jüdisch war.
Aber das kleine Land blieb von nichtjüdäischen Völkern
umringt und stand weiterhin unter dem Einfluß seiner heidnischen
Nachbarn. Außerdem war das Gebiet durchsetzt mit
hellenistischen und römischen Städten. Die kulturelle
Breitenwirkung dieser Verhältnisse auf die Bevölkerung
konnte gar nicht ausbleiben.
Was das Sorgenmaß der orthodoxen Führung in Jerusalem voll
machte, war die politische Lage Galiläas. Denn zwischen ihm und
Judäa lag das zwar hebräischstämmige, aber mit den Juden
in Erzfeindschaft liegende Samaria. Galiläa war auf diese Weise
von dem Zentrum des Judentums abgenabelt.
Und schließlich hatten die beiden von einander verschiedenen
jüdischen Siedlungsgebiete auch noch unterschiedliche
Regierungen. In Judäa herrschte der römische
Prokurator Pontius Pilatus. In Galiläa hielt sich Antipas, ein
Sohn Herodes des Großen als Tetrarch an der Macht.
So präsentierte sich auch die engere Heimat Jesu nicht als ein
Ort, der durchdrungen gewesen wäre von jüdischem
Glauben und Gottestreue, durchweht von der
altehrwürdigen Moral des Pentateuchgesetzes. Das Galil
war ein Rebellennest, und das Bild jüdisch-beschaulichen
Lebens dort ist allenfalls eine schöne Mär.[xvi]
Die Galiläer waren, kampflustig, trotzig und streitbar.[xvii] Der
Talmud sagt, die Freiheitsliebe der Galiläers sei grenzenlos
und die Ehre gelte ihnen mehr als Besitz.[xviii] Von Konformismus
hielten sie aber wohl nicht viel. Schon äußerlich betonten
sie dies in ihrer Tracht und in der für sie typisch laschen
Aussprache des Aramäischen.
Nonkonformistisch verhielten sie sich auch gegenüber den
jüdischen Glaubensgütern. Die schwere Arbeit der
Kleinhändler, Linnenweber, Bauern, Handwerker und
Fischer machte ihr Leben zu einer harten Bürde.
Da war für penibles Herumtüfteln in Gesetz und Tradition
weder Zeit noch Raum. In Galiläa hatte man keinen Sinn für
die neue Thorabewegung, für Schriftgelehrsamkeit und für
den Pharisäismus entwickelt.[xix]
Der berühmte Jochanan ben Sakkai, einer der größten
Rabbinen, hat damals 18 Jahre lang im Galil gelebt, und in diesen 18
Jahren haben ihn die Galiläer nur zweimal in Fragen des
Gesetzes befragt. Sein Kommentar dazu: Galiläa, Galiläa, du
hassest die Lehre, du wirst zuletzt eine Beute der Bandenführer
werden.[xx]
Und nur ein einziger Rechtsgelehrter läßt sich innerhalb von 70 Jahren aus dem Galil selbst nachweisen.[xxi]
Kein Wunder, denn die fanatischen Vertreter des Gesetzes wurden
von den galiläischen Männern von Herzen gehaßt und von
den Frauen gefürchtet.[xxii] Die Schriftgelehrten ihrerseits
reagierten mit herablassender Geringschätzung.
Dem Nikodemus, der die Illegalität des Tötungskomplotts
kritisierte, antworteten die Pharisäer höhnisch: Bist
etwa auch du ein Galiläer? Forsche nach in der Schrift, daß
aus Galiläa kein Prophet aufsteht![xxiii].
Die Thoratheologen bezweifelten prinzipiell, daß aus Galiläa
etwas Gescheites kommen könnte und verachteten das ungelehrte
Volk der Am-Haarez,[xxiv] das die Thora nicht hält und die
Halacha ignoriert[xxv].
Aber eben aus dieser Kaste stammte Jeschu ben Joseph aus Nazareth.
Er war Bauhandwerker, wie sein Vater, und ein Galiläer durch und
durch. Seine tiefe Verwurzelung in dem strengen Menschentyp des Galils
wird in vielem erkennbar: In seiner tiefen Verinnerlichung
des galiläischen Lebens und des schönen Landes.
Ihr verdanken wir seine wunderbaren kleinen Geschichten, in denen sich
das Leben seiner Heimat so realistisch spiegelt, daß die modernen
Wissenschaftler sie für ihre ethnischen Forschungen
benützen können.[xxvi]
Seine galiläischen Wurzeln zeigen sich aber vor allem in seiner
betont unorthodoxen Grundhaltung, mit der er den Typus des
Galiläer in Rede und Tun reflektierte. Sie zeigen sich in
seinem kämpferischen Mut zum Widerspruch, in seiner
pointierten Rede und in seiner penetranten Ignoranz der jüdischen
Tradition.[xxvii]
Jesus wird die Beengungen dieses Traditionssystems bei seiner
Arbeit im eigenen Haus oft genug selbst erfahren haben. Seiner
sensiblen Aufmerksamkeit kann es gar nicht entgangen sein, wie der
dogmatische Zwang zur Gesetzestreue die Menschen seiner
Heimat behinderte.
Von früh bis spät erschufteten sie im Kampf mit der Natur ihr
Brot und das Übermaß der ihnen abgepreßten Abgaben.
Wie sollten sie unter diesen Umständen auch noch auf Schritt
und Tritt ein frommes Augenmerk haben auf die tausend
Spitzfindigkeiten eines sich ständig regenerierenden
Religionsgesetzes?
Die praktische Unmöglichkeit, im Gesetz weise zu werden und
gleichzeitig den ganzen Tag zu arbeiten, bestätigt der folgende
Text bei Jesus Sirach: Wie kann der zur Weisheit kommen, der den Pflug
hält und sich mit dem Ochsenstachel großtut?[xxviii]
Aber noch eine andere fromme Einrichtung strapazierte das Leben
der galiläischen Menschen nicht unbeträchtlich: Der ferne
Tempel. Nach der Vorschrift des Gesetzes hatten alle Männer
Israels drei Mal im Jahr vor Jahwe in dem Jerusalemer
Jahwe-Heiligtum zu erscheinen.[xxix]
Das taten die Männer in der Regel nicht allein. Aus der
Geschichte Jesu wissen wir, daß die ganze Familie
mitwanderte. Und aus Sicherheitsgründen - die Wallfahrer
führten ja Opfergelder mit - machte man sich in
größeren Reisegruppen auf den langen und beschwerlichen Weg.
Um die ungefähr 135 Km zwischen Nazareth und Jerusalem zu
bewältigen, war man wenigstens vier anstrengende Tage auf den
staubigen Straßen Palästinas unterwegs. Das war keine der
blumengesäumten Wallfahrten, wie wir sie in unserer
schönen Heimat erleben.
Die wenigen Routen führen über karge Berg- und Talstrecken
und teilweise durch verfeindetes Land. Die Menschen hatten unter
Hunger, Durst und Hitze, und noch vielen anderen
Unbequemlichkeiten zu leiden, vor allem bei Nacht.
Dennoch erzählen fromme Menschen, daß diese Wallfahrten von
munterem Geschwätz, Gebet und Psalmengesang begleitet
waren[xxx].
Bedenkt man aber, daß die sowieso unbegüterten Wallfahrer
drei mal im Jahr Haus und Hof, Arbeit, Acker, Vieh und alle sonstigen
Fürsorgepflichten wochenlang in Sorge hinter sich lassen
mußten,
bedenkt man die gesundheitlichen und anderen Risiken der langen beschwerlichen Märsche, und
bedenkt man die Kosten dieser Wallfahrten, die ebenfalls drei Mal im
Jahr den Säckel der ausgelaugten breiten Unterschicht leerten,
dann dürfte sich die Begeisterung gerade bei den kritischen
Galiläern in durchaus menschlichen Grenzen gehalten haben.
Kamen die Wallfahrer endlich müde und erschöpft in Jerusalem
an, hatten sie sich vorschriftsmäßig fröhlich zu zeigen
und mit Jubel und Freude an den Festen teilzunehmen.
Konfrontiert mit dem protzigen Reichtum derer, die von den
Strapazen und Opfern der Kleinen Leute nicht schlecht lebten - man
hat ihre exklusiven Paläste ausgegraben - dürfte mancher
Galiläer im Herzen über die recht unbegreifliche
Gerechtigkeit Jahwes nachgesonnen haben.
Und das insbesondere in Anbetracht des immensen Reichtums des Tempels.
Die Stätte der angeblich Ewigen Gegenwart Jahwes hortete in ihren
unterirdischen Schatzkammern ein unermeßliches Kapital an
Silbergeld, ohne auch nur eine einzige Gegenleistung zu erbringen, oder
gar eine soziale Maßnahme zu finanzieren.
Von allen Juden des Erkreises, das heißt, von allen Verehrern des
wahren Gottes in Asien und Europa, wurde die Kopfsteuer eingetrieben.
Man sammelte das Geld in Städten wie Ephesus, Sardes, Kyrene,
Apamea Laodizea, Pergamon u.a. und brachte es von da in
Spezialtransporten nach Jerusalem.
So war der Tempel um die Zeitenwende eine Megafirma und vielleicht die
größte Depositenbank der Welt. Und dieses
ununterbrochen florierende Superunternehmen arbeitete
ausschließlich für den Profit der Priesterelite[xxxi].
Kaum anzunehmen, daß ausgerechnet den Galiläern der
Realitätssinn gefehlt hätte, ihre armselige Existenz und
diesen sinnlos angehäuften, enormen Reichtum in eine soziale
Relation zu bringen. Ganz sicher nicht anzunehmen ist, daß
der Galiläer Jesus die Armut der Menschen entschuldigt hätte
mit der Notwendigkeit des Gottesgeldes in den
Tempelgrüften und dem Profit der Priester.
Weil die Evangelien darüber nicht so ausführlich
berichten, wie etwas über die Gesetzeskonflikte, darf die
Polarität zwischen Jesus und dem Tempelklerus nicht
unterschätzt werden.
Denn wäre es nicht merkwürdig, wenn der mutige
galiläische Streiter für den Willen Gottes, für eine
gerechte Gesinnung, und gegen die Anhaftung an Geld und Besitz,
ausgerechnet die asoziale Gier der Tempelpriester übersehen
hätte?
Das hat er nicht! - Der erste Konflikt Jesu im Johannesevangelium
ist eine Agitation gegen das aristokratische Tempelestablishment.
Und dieser Konflikt wird in seiner ganzen Härte erst
einsichtig, wenn auch die galiläische Herkunft Jesu im
Blickfeld steht.
Der Vorfall ereignete sich an einem Tag, an dem man die
Vorbereitungen für das Passahfest traf. In ihrem Sog
verwandelte sich der Vorhof des in Marmor und Gold
gleißenden Tempels in ein brodelndes Gemisch aus Viehmarkt
und Devisenbank.
Weil das Geld der Welt angeblich rituell unrein war, mußte es im
Vorhof des Tempels - wo sonst? - erst einmal in die rituell reine
tyrische Währung gewechselt werden. Natürlich war es kein
Zufall, daß die rituelle Reinheit der tyrischen Währung
mit ihrer besonderen Reinheit des Silbers zusammenfiel.
Zahllose Pilger aus Palästina und aus der Diaspora wechselten also
auf dem Tempelberg ihre Devisen in tyrisches Silber. Das nun ebenso
rituell wie materiell reine Silber opferten sie Jahwe, das heißt,
das teure Silber verschwand in der Schatzkammer des Tempels. Dann
kauften sie ihr Passahopfer, und vereinbarten dessen Schlachtung
und Opferung, was auch seinen Preis gehabt haben wird.
Was sich so idyllisch anhört, war in der Realität ein
infernalisches Tohuwabohu. Der Lärm der gewaltigen
Menschenmasse; das marketenderische Gekreische der Tierhändler,
das ängstliche Blöken Tausender Tiere, die in den
heiligen Hallen gemäß ihrer Bedürfnisse auch
misteteten; das Geschrei der Wechsler, die die Annahme dieser und
jener Währung an- und Zins und Zinseszins feilboten; der
penetrante Geruch frischen Blutes in den Schalen der Opferpriester, und
der Gestank verbrennenden Fleisches auf dem riesigen Brandopferaltar;
dazu die plärrenden Stundenposaunen und der monotone Gesang
der levitischen Chöre.
Wer hier noch die Gegenwart des Weltenschöpfers und seine
Wohnung unter den Menschen erahnen konnte, mußte selbst
nach antikem Geschmack alle Sinne eingebüßt haben. Dem
jungen Nazarener jedenfalls trieb die Herrschaft materieller Gier
und die gotteslästerliche Entwertung einer frommen Fiktion den
Zorn ins Blut.
Plötzlich zog er eine improvisierte Geißel hervor, warf die
Geldtische um und schrie die Taubenhändler an, ihre
Gestelle fortzubringen. Dann trieb er die gesamte Tempelherde vor
sich her und zum Tempeltor hinaus - Tierhändler,
Geldwechsler, Schafe, Lämmer, Rinder.
War das heiliger Zorn, prophetischer Eifer für das Haus Gottes,
wie die Jünger später glaubten? - Das ist eher
unwahrscheinlich. Zum einen sprechen nicht nur seine Gebetsgewohnheiten
gegen die Annahme, er habe den Tempelberg als geheiligte
Niederlassung der Allgegenwart Gottes verehrt.
Zum andern war Jesus damals mit etwa 35 Jahren gewiß noch ein
junger Mann, aber nicht mehr so jung, daß sein Temperament und
seine Leidenschaft unkontrolliert sein Handeln diktierte. Was
immer er tat, tat er bewußt und stets mit dem Ziel,
exemplarische Zeichen zu setzen.
So auch hier. - Diese Peitschenschläge galten nicht der
sogenannten Reinigung des ohnehin ideell und materiell
korrumpierten Heiligtums. Sie galten auch nicht den
Viehhändlern und Wechslern. Die hatte es ja schon immer
im weitläufigen Vorhof gegeben. Jesus kannte den Betrieb
von Kindesbeinen an.
Diese Peitschenschläge waren der erste Schlagabtausch
zwischen dem Galiläer Jesus und dem korrupten,
adelig-klerikalen Establishment. Sie zielten in Richtung
jener, denen die fromme Pflicht der verarmten Menschen nichts war, als
ein schamlos materielles Kalkül.
Jene Herren der sadduzäischen Tempelpartei waren gemeint, die den
Tempel als ihre Goldgrube betrachteten, die die in frommer Pflicht
stehenden Menschen ausbeuteten und betrogen. Die Worte Jesu, mit
denen er seine Aktion begleitete, bestätigen das.
Er berief sich auf die großen prophetischen Kritiker Jeremias und
Jesaias, als er in unmittelbarer Nähe zur Tempelbehörde
schrie: Mein Haus wird Gebetshaus gerufen für alle Völker! -
Doch ihr, ihr habt es zur Räuberhöhle gemacht.[xxxii]
Es lohnt sich immer, über die von Jesus gewählten Zitate
nachzudenken. Auch diese hier waren klug gewählt und
vermittelten ein unangreifbares Motiv für die ungewöhnlich
provokante Agitation.
Die Berufung auf die beiden Prophetensprüche schloß die
sofortige Anwendung der Strafparagrafen aus, die jede
Entweihung des Tempels mit der Todesstrafe ahndeten.[xxxiii]
Die provozierte Tempelgeistlichkeit mußte sofort erkannt haben,
daß die Anrufung der großen Propheten nicht ein spontaner
Einfall war, sondern auf eine geplante und druchdachte Agitation
hinwies. Sie mußte somit auch erkennen, daß diese Agitation
nicht den Händlern und Wechslern galt, sondern ihnen.
Man muß sich die Wut der Männer vorstellen, die nach Geltung und
Gütern gierten, als sie tatenlos zusehen und zuhören
mußten, wie der galiläische Am-Haarez mit unerwarteter
Kompetenz gegen sie anstand. Wie er ihre unsoziale und unmoralische
Ausbeutung des frommen Symbols aufs Tapet brachte, und wie er die
Verlogenheit und Amoralität ihres heruntergekommenen Standes
bloßstellte. - Das vergaß man ihm nicht.
Wer waren diese Hohepriester und die Ersten des Volkes, die Jesus
mit seiner gefährlichen Aktion angegriffen und so getroffen hatte,
daß sie sich schon nach diesem Vorfall gegen alles Recht gegen
sein Leben verschworen?
Der Hohepriester war das Oberhaupt des Gottesstaates. Das Amt
vereinigte die beiden ranghöchsten Positionen in einer
Person: Das religiöse Hohepriesteramt verlieh ihm die
Würde des Pontifex maximus über den riesigen geistlichen
Zeremonialapparat. Das profane Präsidialamt, gab ihm die
Macht des Chefpolitikers und stellte ihn über das
gottesstaatliche Zentralorgan, den Hohen Rat.
Obwohl das Ansehen des hohepriesterlichen Amtes zur Zeit Jesu bereits
gelitten hatte und belastet war durch Bestechung und
verräterische Zusammenarbeit mit Rom, blieb es bis zum
Untergang Jerusalems die von Rom anerkannte oberste
Personalinstanz der Juden[xxxiv].
Der amtierende Hohepriester hieß in den Tagen Jesu Joseph.
Seiner inquisitorischen Tüchtigkeit und seinem diplomatischen
Geschick dankte er den Beinamen Kajaphas. In seiner
ungewöhnlich langen Amtsperiode von 18 Jahren taktierte er
geschickt mit den Römern und setzte rüde und mit eiserner
Hand durch, was er für opportun hielt.
Er mußte ein ungeheures Vermögen besessen haben, denn das
Amt des Hohepriesters war käuflich und von den Römern
nicht billig zu haben.
Seine engsten Mitarbeiter waren alles Männer der herrschenden
Hohepriesterdynastie im dienstfähigen Alter. Dazu zählten
jene Honoratioren, die vor Joseph Kajaphas amtierender
Hohepriester waren, oder als Kandidaten galten und es nach ihm
noch wurden.
An erster und herausragender Stelle in diesem elitären Kollegium
stand der Senjorpontifex Hannas[xxxv]. Er war der Schwiegervater
des Kajaphas und der patriarchale Vorstand einer der
einflußreichsten und gefürchtetsten Sippen in Jerusalem.
Hannas war vor Kajaphas neun Jahre lang amtierender Hohepriester
gewesen und hatte das Amt mit Billigung der Römer an Kajaphas
abgegeben. Im Hintergrund aber regierte der alte hartgesottene
Spitzenpolitiker als graue Eminenz weiter.
Hannas und seine mit ihm dynastisch versippten Mitarbeiter
bildeten eine fest geschlossene Machtgruppe, die man die
Hohepriester nannte. Zu ihnen sind außerdem noch die Zehn
Ersten oder Archonten zu zählen.
Die Arbeit des hohepriesterlichen Kollegiums war straff und
konsequent auf die Politik des amtierenden Hohepriesters Kajaphas
zugeschnitten. Die Amtshilfe, die das Kollegium dem amtierenden
Hohepriester leistete, war getragen von absoluter
Familienloyalität und unverbrüchlicher Verschwiegenheit.
Die Hohepriester regierten den riesigen Tempelapparat, sie
verwalteten dessen ungeheuren Einkünfte im In- und Ausland
und den unermeßlichen Tempelschatz. Unter ihre Zuständigkeit
fiel die priesterliche Personalorganisation und die Wahrung von
Sicherheit und Ordnung im Rahmen des Gesetzes.
Alle Mitglieder des Priestersynhedriums gehörten damals der
aristokratischen Partei der Sadduzäer an. Dementsprechend war
der Einfluß dieser Partei auf die staatspolitischen Belange von
entscheidender Bedeutung.
Die Sadduzäer arbeiteten mit den Römern zusammen. Auf das
gemeine Volk der Am-haarez sahen sie verächtlich herab. Das Volk
seinerseits haßte die Sadduzäer, vor allem wegen ihres
griechisch orientierten Lebensstils, ihrer Korruption und
ihrer Kungelei mit den Römern.
Die Tora in ihrer geschriebenen Pentateuchversion hatte für die
Sadduzäer absolute Autorität. Die halachischen
Auslegungen und Weiterbildungen der Pharisäer lehnten sie
rigoros ab.
Auch die pharisäische Lehre von der Auferstehung der Toten, das
Fortleben nach dem Tode und die Existenz von Geistern
leugneten sie. Jahwe stellten sie sich noch menschenbildlich vor.
Kategorisch bestanden die Sadduzäer auf der Geltung der
überkommenen Traditionen. Ganz besonders in rituellen Fragen
vertraten sie als Partei des Tempelklerikats einen
streng-orthodoxen Standpunkt.
Daß die Evangelien nicht direkt über
Zusammenstöße Jesu mit den erzkonservativen Sadduzäern
berichten, lag an der intriganten Diplomatie dieser Partei. Sie
wußte ihre Aktivitäten zu kaschieren, ihr
verlängerter Arm waren die gelehrten Hüter des
Religionsgesetzes.
In Wahrheit aber waren vor allem die sadduzäischen
Hohepriester die politisch entscheidende Kraft, unter anderem auch
bei der tödlich endenden Verfolgung Jesu. Aber sie hatten
auch im Fall Jesu formal auf eine Institution Rücksicht zu nehmen,
die zwischen ihnen und dem Volk stand: Der Hohe Rat, dessen
mehrheitliche Billigung sie für ihre öffentliche
Legitimation benötigten.
Der Hohe Rat, auch Großes Synhedrium genannt, setzte sich
aus 71 Mitgliedern zusammen. Darin waren Pharisäer,
Schriftgelehrte, Sadduzäer, Gemeindeälteste,
Mitglieder des Priestersynhedriums und natürlich der
amtierende Hohepriester als Präsident vertreten.
Die größte Fraktion bildeten die pharisäischen und
nichtsadduzäischen Schriftgelehrten. Sie waren jedoch zu sehr
in einzelne Schulen gespalten und in internen Zwistigkeiten verwickelt,
um sich gegen die straff abgestimmten Sadduzäer behaupten zu
können.
Deren Block hielt bei allen Verhandlungen und in den häufigen
Auseinandersetzungen mit den Schriftgelehrten und
Pharisäern fest zusammen. Damit erreichte es die
ultrakonservative Minderheit, den Hohen Rat politisch zu
dominieren.
Im Großen Synhedrium des Hannas und Joseph Kajaphas begegnen
und berühmte rabbinische Namen: Sadok, Jochanan ben Sakkai,
Akabja, und Nechonja. An der Spitze der Fraktion der
Schriftgelehrten stand Gamaliel I, Enkel des großen
Hillel. Dann war da Nikodemus und Joseph aus Arimatäa, Shimon Sohn
des Gamaliel und Shaul aus Tarsus, Schüler des Gamaliel,
pharisäischer Eiferer und excellenter Verfolger der
Jesusanhänger.
Man könnte meinen, ein gottesstaatlicher Regierungsapparat
wäre ein Hort der Moral und Gerechtigkeit gewesen. Aber die Klagen
über Jerusalem und seinen Klerus und die Klagen über die
Schriftgelehrten und Pharisäer sind allzu düstere
Kontrapunkte zu den hohen Ansprüchen ihrer Ämter.
Sogar im jüdischen Talmud[xxxvi] hat sich die Klage eines
Jerusalemer Bürgers über das Terrorregime der mit List,
Gewalt und Mord herrschenden Priesterfamilien erhalten. Dort
heißt es unter anderem.
Wehe mir wegen des Hauses Boethos, wehe mir ob ihres
Meuchelmordes[xxxvii]. Wehe mir wegen des Hauses Kantheras, wehe
mir ob ihrer Geheimbriefe[xxxviii]. Wehe mit wegen des Hauses
Hannas, wehe mir ob ihrer Denunziation bei den Römern[xxxix]. Wehe
mir wegen des Hauses Ismael, wehe mir ob ihrer
Gangstermethoden[xl]. Denn sie sind Hohepriester, ihre Söhne
sind Schatzmeister, ihre Schwiegersöhne sind
Tempelpolizisten, und ihre Sklaven schlagen das Volk mit
Knüppeln[xli].
Aus den Büchern des Altjüdischen Schrifttums sind weitere
Klagen zu entnehmen. Da ist von lasterhaften und perversen
Priestern[xlii] die Rede. Oder von der moralisch korrumpierten
Priesterschaft. In Kellerräumen feierten sie ihre Orgien und
trieben Greuel und Blutschande. Jeder brach die Ehe mit der Ehefrau des
Nächsten und regelte den Frauentausch noch durch Eid und
Vertrag. Sie sündigten schlimmer als die Heiden und
ließen keine Sünde mehr übrig[xliii].
Im gleichen Buch an anderer Stelle wird der Hohepriester selbst
angegriffen: Wir lesen dort: Er redet und gestikuliert so heftig wie
kein anderer und verurteilt die Schuldigen im Gericht mit harten
Worten. er tut wie ein Eiferer und ist der Erste, der Hand an den
Verurteilten legt (z.B. Steinigung), und ist doch selber in
vielfache Sünde und Unreinheit verstrickt. Seine Augen
richten sich auf jedes Weib ohne Unterschied, er sündigt
nachts und im Verborgenen, wo er sich ungesehen glaubt. Durch
Blicke verständigt er sich mit jedem Weib, hurtig dringt er in
jedes Haus ein, harmlos, als täte er nicht Arges[xliv].
Paulus, selbst ordinierter Pharisäer schreibt über die
Angehörigen seiner Zunft: Du legst dich schlafen auf dem
Gesetz und kennst den Willen Gottes und weißt, worauf es
ankommt. Und du traust dir zu, ein Führer der Blinden zu
sein. Ein Licht in der Finsternis. Ein Zuchtmeister der Toren. Ein
Lehrmeister der Unmündigen. Als hättest du die
Verkörperung der Kenntnis und Wahrheit Gottes im Gesetz. Du
belehrst die anderen - und lehrst dich selber nicht? Du
verkündigst, man solle nicht stehlen - und stiehlst. Du
sagst, man soll nicht ehebrechen - und treibst Ehebruch? Um
euretwillen lästert man Gott weltweit unter den Heiden[xlv].
Selbst im heidnischen Ausland ist die morbide Sittenlosigkeit im
jüdischen Palästina bekannt. Tacitus schreibt fünfzig
Jahre nach Paulus über die Juden: In sexuellen Dingen sind sie
maßlos. Von Frauen anderer Völker halten sie sich
zurück. Aber untereinander ist bei ihnen nichts
unerlaubt[xlvi].
Es ist unwahrscheinlich, daß Jesus diese Verhältnisse auf
dem Tempelberg und im priesterlichen Jerusalem nicht gekannt hat, wenn
sie sich andernorts sogar schriftlich niederschlugen.
Unwahrscheinlich ist es auch, daß diese Kenntnisse sein
Verhalten nicht beeinflußt haben sollten.
Es liegt sogar die Annahme nahe, daß die Hohepriester davon
ausgingen, Jesus könnte seinen auffälligen Mut zu seiner
Tempelagitation aus einem sie kompromittierenden Wissen,
möglicherweise sogar aus besten Quellen bezogen haben.
Eine versprengte Notiz im Talmud könnte jedenfalls auf diese Spur
führen. Darin heißt es, daß mit Jesus anders
umgegangen worden sei, weil er der Führung nahegestanden
habe[xlvii]. Das wäre so unmöglich nicht, hatte doch auch der
Jesusjünger Johannes ausgezeichnete Beziehungen zum Haus des
Altpontifex Hannas.[xlviii]
Auch die Frage, warum Jesus von der Priesterklique nicht
wenigstens auf der Stelle festgenommen und verhört wurde,
fände in dieser Hypothese eine interessante Erklärung. Denn
dazu hätten die Wachen bei einem so aufsehenerregenden Eklat
allemal das Recht gehabt, ohne das Volk fürchten zu müssen.
Wenn man Jesus aber gewähren ließ und seine Beseitigung auf
die legale Schiene brachte, verhinderte das nicht nur, daß er ad
hoc zur Verteidigung gereizt redete, was er wußte. Es beugte auch
vor, daß das Volk beziehungsreiche Fragen aufwarf.
So ging man den stets erfolgreichen Weg, erst die Stimme eines
Menschen, dann diesen selbst zum Schweigen zu bringen. Aus der Textlage
ist das Vorgehen der Gegner Jesu durchaus zu rekonstruieren, wie
wir noch sehen werden. Es zielt verfahrensmäßig in der
Hauptsache auf das Verbrechen der Apostasie, also des Abfalls.
Die Überführung von Abfallpredigern war unter anderem Sache
der gut organisierten und vor allem gut motivierten
Geheimdienste, wie der Religionshistoriker Stauffer die
Aktivisten des Gesetzes nennt.
Aus dem Pentateuch, dem Talmud und anderen Schriften erfahren wir
von den religionsgesetzlichen Bestimmungen, auf die sich die
Ermittler stützen und berufen konnten.
Jeder Jude, ist berechtigt und verpflichtet, einen Verführer
durch Hinterlist in eine Falle zu locken, ihn auf die Probe zu
stellen und zu entlarven. Zu diesem Zweck wird der Einsatz von
"Hinterhaltszeugen", der in allen anderen Rechtsfällen
unzulässig ist, amtlich genehmigt und empfohlen: Man
läßt eine verdächtige Person durch zwei loyale
Männer unauffällig überwachen, bis der Verführer
sich verraten hat.. [xlix]
Daß man in dem orthodoxen Jerusalem nicht zimperlich mit
dieser Praxis umgegangen ist, bestätigt das folgende Gebet.
Mutig klagen damit die Essener in Qumran über diese
lebensgefährliche Praxis des Tempelklerikats, dem unter dem
Hohepriester Jakim 162 v.Chr. an einem einzigen Tag sechzig
essenische Glaubensbrüder zum Opfer fielen.
Du hast mich bewahrt vor jeder Fallgrube. Sie spannen Netze
gegen mich, sie stellen Fallen gegen mein Leben![l] Ich lebe in
einem Lande des Frevels, wo überall Fallgruben sich auftun und die
Fangschnüre der Gottlosen ausgespannt sind und das Netz
der Bösewichter über das Wasser gebreitet ist, und die
Pfeile der Hölle fliegen und vernichten[li].
Pause
Für die Geltung und Einhaltung der Traditionsdogmen waren in
vorderster Reihe die Schriftgelehrten und Pharisäer
verantwortlich. Zu ihren Mitteln gehörte die spontane
Steinigung, wie wir aus der Stephanusgeschichte erfahren können.
Sie arbeiteten aber auch und vor allem im Ermittlungsauftrag der
Tempelzentrale.
Da wird die Einhaltung der vorgeschriebenen Sittenverordnungen in
den Vergnügungslokalen durch Abgesandte des Synhedriums
ausgeforscht. Da schwärmen an Feiertagen die vom Synhedrium
gesandten Sabbatwächter in Städte und Dörfer. Wer ihre
Warnungen in den Wind schlägt, wird auch mal gleich
gesteinigt.
Da werden vom Hohepriester Gesandte mit Geheimbriefen in die
auswärtigen Gemeinden geschickt, mit dem Auftrag, den
verdeckten Mordbefehl gegebenenfalls zu vollstrecken. Da existiert
- an den Römern vorbei - eine von dem Hohepriester
ferngelenkte Lynchjustiz[lii].
Justin der Märtyrer klagt in einem Streitgespräch mit Rabbi
Tarphon die widerrechtliche Praxis der jüdischen
Machthaber an. Ihr habt keine Vollmacht, Hand an uns zu legen
dank denen, die jetzt die Regierungsgewalt inne haben. Aber sooft
ihr einmal konntet, habt ihr es getan.[liii]
Und in einem Brief an den Kaiser Antonius Pius schreibt er. Sie haben
uns umgebracht, sooft sie nur Gelegenheit fanden.[liv]
Der für das Christentum größte Zeuge für den gut
funktionierenden jüdischen Geheimdienst ist ein
Vertrauensmann des Kajaphas, Schüler des berühmten
Gamaliel und von daher wohl erstklassiger Pharisäer, Saul,
der zum christusgesandten Paulus wurde.[lv]
In der Jesus-Literatur gibt es Stimmen, die behaupten, Jesus sei
mitnichten von Juden ausspioniert, verfolgt oder gar hingerichtet
worden. Das versteht sich schwer, denn kaum ein Sachverhalt ist so klar
und eindeutig überliefert, wie eben dieser.
Kein Mensch des antiken Judentums war im Volk beliebt und geachtet
wie Jesus. Die Menschen liefen ihm zu Tausenden nach, sie wollten ihn
zum König machen, sie hörten seine Reden gern und staunten
über seine Worte und Taten. Das ist der eine Befund in den
Evangelien.
Innerhalb weniger Monate verließ ihn das Volk, fielen Freunde von
ihm ab, verfolgte ihn seine Familie als Irren, befand er sich auf der
Flucht, wurde er steckbrieflich gesucht, denunziert und umgebracht. Das
ist der andere Befund der Evangelien.
Ohne die professionelle Arbeit der Spürhunde Gottes, wie sie
Stauffer nennt, wäre dieses Phänomen gar nicht
erklärbar. Nehmen wir uns die Zeit und lassen wir die
Evangelien von dieser Arbeit erzählen. Achten wir auf die
Steigerung in der Wahl der Mittel. Ich habe sie unter 10
Motivtiteln zusammengestellt. Aus Zeitgründen, konnte ich nur
eine Auswahl aufnehmen.
1. Spott: Das alles hörten die Pharisäer, die geldgierig waren. Und sie verspotteten ihn.[lvi]
2. Verhetztes Volk: Da suchten die Juden auf dem Fest nach ihn und
fragten: Wo ist er? Und es war ein großes Geflüster
seinetwegen in der Menge. Manche sagten: Er ist gut. Andere: Nein,
er verführt das Volk.[lvii]
3. Die Frage nach der Ordination: Da sagten die Juden zu ihm: Wie weist
du dich aus, daß du dies tun darfst?[lviii] Die
Hohepriester, Schriftgelehrten und Ältesten fragten ihn: Aus
welcher Vollmacht tust du das? Oder wer hat dir diese Vollmacht
gegeben?[lix]
4. Feststellung von Gesetzesübertretungen: Die Pharisäer und
Schriftgelehrten empörten sich und sagten zu seinen Jüngern:
Warum eßt und trinkt ihr mit Zöllnern und Sündern?[lx]
Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Siehe doch, warum tun deine
Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?[lxi]
5. Feststellung der Gotteslästerung: Wer ist der, daß er Gotteslästerungen ausspricht?[lxii]
6. Feststellung von Besessenheit: Die Schriftgelehrten aber, die von
Jerusalem hergekommen waren, sagten: Er hat den Beelzebul, und: Er
treibt die bösen Geister aus durch deren Obersten.[lxiii]
7. Fallenstellerei: Sie belauerten ihn und sandten Leute aus, die sich
stellen sollten, als wären sie fromm. Die sollten ihn in seinen
Worten fangen, damit man ihn der Obrigkeit und der Gewalt des
Statthalters überantworten könnte .[lxiv]
8. Lynchjustiz: Und sie standen auf und stießen ihn zur Stadt
hinaus und führten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre
Stadt erbaut war, um ihn hinabzustürzen.[lxv]
9. Verfolgung derer, die zu ihm halten: Doch auch viele von den Oberen
glaubten an ihn, aber um der Pharisäer willen bekannten sie es
nicht, um nicht aus der Synagoge ausgestoßen zu
werden.[lxvi] Die Hohepriester beschlossen auch, Lazarus zu
töten, denn um seinetwillen gingen viele Juden hin und glaubten an
Jesus.[lxvii]
10. Mordkomplott: Die Pharisäer gingen hinaus und hielten mit den
Anhängern des Herodes sofort Rat gegen ihn, wie sie ihn umbringen
könnten.[lxviii] Von dem Tag an war für sie beschlossen,
daß sie ihn töten würden.[lxix] Er lehrte täglich
im Tempel. Die Hohepriester und Schriftgelehrten und die
Angesehensten des Volkes trachteten aber danach, ihn umzubringen.
Sie fanden jedoch keinen Weg, wie sie es anstellen sollten, denn das
ganze Volk hing an ihm und hörte ihn.[lxx] Als die Hohepriester
und Pharisäer seine Gleichnisse hörten, erkannten sie,
daß er von ihnen redete. Und sie trachteten danach, ihn zu
ergreifen, aber sie fürchteten das Volk, das ihn für einen
Propheten hielt.[lxxi] Da versammelten sich die Hohepriester und die
Ältesten des Volkes im Palast des Hohepriesters, Kajaphas, und
hielten Rat, wie sie Jesus mit List ergreifen und töten
könnten. Sie waren sich aber einig, dies nicht am Fest zu tun,
damit es keinen Aufruhr gäbe.[lxxii]
Im Februar des Jahres 30 war es soweit. Die Verantwortlichen des
Gottesstaates, Anwälte der Sache Gottes und Vollstrecker des
Willens Jahwes versammelten sich. Sie sagten:
Was machen wir? - Der tut da viele Wunder. Lassen wir ihn weiter
gewähren, läuft ihm noch das ganze Volk nach und glaubt
seinen Reden. Schließlich werden sich die Römer dafür
interessieren und uns Jerusalem und das Volk wegnehmen.
Da sagte der Hohepriester Kajaphas: Ach was! - Ihr versteht
überhaupt nichts! Denkt ihr nicht daran, daß es euch
dienlich sein könnte, daß ein Mensch stirbt, anstatt
die ganzen Nation.[lxxiii]
Hier also liegen die objektiven Gründe für die Exekution Jesu
offen und klar zutage. Die Analyse aller verfolgungsrelevanten
Evangelientexte und der zeitgenössischen Kontexte
führt in der Tat zu dem Schluß, daß man Jesus objektiv
vorwarf, Urheber mindestens zweier drohender Gefahren zu sein:
1. Erschütterung der Religionsgesetzlichkeit, wenn nicht gar
deren Abschaffung mit allen Risiken für die, die gut damit
und davon lebten.
2. Infiltrierung aufständischer und krimineller Mächte in das
sich dann bildende politische Vakuum mit der Folge des Ausbruchs von
Unruhen und des militärischen Eingreifens der Römer.
Doch die Objektivität täuscht. Die Verfolgung Jesu war nicht
so juristisch und politisch neutral begründet, wie sie sich
analysieren läßt. Auf der Hinrichtungsstätte sollte
sich erschreckend primitiv die andere Hälfte der Wahrheit
offenbaren.
Alle Objektivität, jeder Grund, ob am Gesetz, an der
Tempeltradition oder an der politischen Verantwortung festgemacht,
alles hatte seinen Anteil in menschlichen Niederungen:
konstruktives Mißverstehen, Neid, Abneigung und Haß.
Der diabolische Gegenspieler Jesu, dessen Schatten hinter all den
fleißig agierenden uns spionierenden Schriftgelehrten und
Pharisäern stand, und von Amtswegen stehen mußte,
machte bei der Ratsversammlung seinem Namen alle Ehre.
Sein Umgangston war rüde, seine Argumentation kurz, hart und
brutal überzeugend. Und bei seiner Qualifikation ist es keine
Frage: Die zaudernden Herren Räte formulierten nach der
präsidialen Belehrung das Todesdokument.
Der öffentliche Steckbrief, der den bereits gefaßten
Tötungsbeschluß senatorisch beglaubigen sollte,
lautete: Wenn einer weiß, wo sich Jesus aufhält, soll er das
anzeigen, damit er festgenommen wird![lxxiv]
Von nun an war Jesus ganz offizielle kein Sohn Abrahams, Isaaks und
Jakobs mehr. Ab jetzt gehörte er nicht mehr zum Bundesvolk und
hatte keinen Anteil mehr am Gottesheil. Wer sich mit ihm abgab, wer ihn
deckte und ihm Obdach gab, machte sich mitschuldig.
Über den sogenannten Prozess Jesu ist viel geschrieben und
diskutiert worden. Man hat sich darüber gestritten - und tut
es noch - ob der prozessuale Ablauf vor dem Synhedrium rechtlich
korrekt war, oder ob überhaupt ein Prozess, der diesen Namen
verdient, stattgefunden hat.
Es scheint, man streitet sich hier um die Fassade eines
potemkinschen Dorfes. Denn es ist doch eine Tatsache, daß
alle Absprachen, Jesus umzubringen - Originaltext -, die Absicht
der Verschwörer gar nicht erkennen lassen, ein ordentliches
Gerichtsverfahren anzustrengen.
Im Gegenteil, der illegal vorweggenommene
Tötungsbeschluß[lxxv] lange vor der Exekution machte jedes
juristische Verfahren danach zur Farce. Wir haben es hier doch
ganz offensichtlich eher mit einem Mordkomplott als mit einem
ordentlichen Strafverfahren zu tun.
So ist es auch nur konsequent, wenn die Evangelisten kein einziges
Wort davon erwähnen, daß gegen Jesus ein Verfahren
geplant und eingeleitet wurde, wie es die talmudische
Tradition ebenso verschämt wie verdächtig betont.
Aber schon die historischen Widersacher Jesu haben sich
bemüht, ihrem rechtswidrigen Tötungsplan einen legalen
Anstrich zu geben.
Dazu gehört der ebenso hinterhältige wie
überflüssige Steckbrief, der in der Tat nicht zur Festsetzung
Jesu führte. Er war nur als legalistischer Beleg gedacht, denn
Jesus war täglich auf Straßen und Plätzen und vor allem
im Tempel, nur wenige Schritte vor den Wachstuben der Tempelpolizei
präsent gewesen.
Auch das große Menschen- und Waffenaufgebot bei seiner
nächtlichen Verhaftung am Ölberg war nichts als eine
legalistische Inszenierung, die ihm und seiner Gruppe den Anstrich
gefährlicher Bandenverbrecher geben sollte.
Daß es der Priesterklique, die im Hintergrund die Fäden zog,
fortgesetzt gar nicht um einen wirklich korrekten Rechtsweg ging,
zeigt auch, wie hochwillkommen ihr der spätabendliche Verrat des
Judas gewesen war.
Unerwartet kurzfristig und günstig - denn Pilatus befand sich in
der Stadt - spielte Judas seinen Meister den Priestern in die
Hände, zur Nachtzeit, als die Pilgermassen den Coup nicht ahnen
konnten.
Jesus hat die Manöver seiner Todfeinde, ihre pragmatischen
Zwänge, wie auch ihre Illegalität durchschaut. Das Drama
aber, in dessen Mittelpunkt er stand, überließ er der
Dynamik seines Schicksals.
Nach einem kurzen Wortwechsel wurde er gefesselt. Dann führte
man ihn ab und brachte ihn durch das nächtliche Kidrontal in die
Stadt und in das Haus des Senjor-Pontifex Hannas.
Hannas war über die Aktion schon durch den Verrat des Judas
informiert und dürfte zu dieser nächtlichen Stunde befriedigt
auf die Ankunft des Gefangenen gewartet haben. Als Jesus endlich
in Fesseln vor ihm stand, stellte er ihm Fragen über seine
Jünger und seine Lehre.
An dieser Fragenkombination läßt sich sofort die bereits
ausgereifte Strategie erkennen. In der Frage nach den
Jüngern war die geplante Unterstellung
messianischer Umtriebe eingebettet, in der Frage nach der Lehre
die potentielle Anklage der Gotteslästerung. Das eine zielte
auf den römischen Präfekten, das andere auf den
jüdischen Senat.
Jesus durchschaut diese Strategie und reagiert gereizt, aber
korrekt. Er spielt auf die Bespitzelungen an und sagt, er habe
stets in aller Öffentlichkeit, in den Synagogen und im Tempel
geredet, wo alle Juden zusammenkommen. Geheimbündelei habe es
nicht gegeben.
Und dann kommt er auf den Punkt. Wieso muß er sich selbst
gegen alles Recht und Gesetz belasten? Wo sind die Zeugen,
deren Aussagen seine Gefangennahme rechtfertigen? Warum fragt ihr
mich, sagt er, fragt die, die mich gehört haben, die wissen, was
ich sagte.[lxxvi]
Der Hieb wird verstanden. Nicht nur der listenreiche
Senjorpontifex, auch der Wächter neben Jesus hat begriffen.
Er schlug ihm brutal ins Gesicht. Antwortest du so dem
Hohepriester?[lxxvii]
Doch Jesus kannte sein Recht. Er war keines Verbrechens
überführt und die Mißhandlung war rechtswidrig. Er
forderte den Schläger auf, ihm nachzuweisen, Unrechtes gesagt zu
haben.
Hannas schickte die Mannschaft mit dem gefesselten Jesus zu dem
amtierenden Hohepriester und Präsidenten, Kajaphas. Bis Jesus dem
Hohen Rat vorgeführt wurde, war er der Willkür der Wachen
ausgeliefert war und wurde schwer mißhandelt.
In der Zwischenzeit sind mit hoher Wahrscheinlichkeit der
Ratspräsident Kajaphas mit seinem hohepriesterlichen
Schwiegervater Hannas und mit jenen Thoratheologen, die mit
ihnen zusammen die Tötung Jesu beschlossen und betrieben hatten,
zusammengetroffen.
Eine rasche und improvisierte Voruntersuchung[lxxviii] - man nannte sie
damals Anakrisis - war notwendig, um das weitere Vorgehen und das
Zeugenmaterial zu koordinieren. Dem wird wohl auch schon das
Vorgespräch bei Hannas gedient haben.
Kajaphas hatte sich durch die sich günstig darbietende
Verhaftung Jesu unmittelbar vor dem Passahfest unter Zeitdruck
gesetzt. Innerhalb von höchstens 18 Stunden mußte der
Nazarener tot sein, wollte man nicht vor der Öffentlichkeit mit
dem Gesetz kollidieren.
Da nach Lage der Dinge eine ferngelenkte oder direkte Lynchjustiz
jetzt nicht mehr infrage kam, mußte der römische
Präfekt eingeschaltet werden. Ohne ihn war die öffentliche
Exekution Jesu nicht durchzuführen, weil die politische
Kapitalsgerichtsbarkeit in dieser Zeit in den Händen der
Römer lag.
Um den Präfekten dazu zu bewegen, den ihm noch unbekannten
Nazarener so kurzfristig zu kreuzigen, waren politische
Anklagepunkte zu konstruieren, die ihn zum Handeln zwangen.
Für den Fall, daß Pilatus jedoch nicht hinreichend
überzeugt werden konnte, hatte der gerissene Kajaphas eine
ganz besonders wirksame Trumpfkarte parat.
Vor der Übergabe an den Römer, die nicht vor Anbruch des
Morgens möglich war, mußte noch in der Nacht eine
Sitzung des Hohen Rates organisiert werden. Denn die Überstellung
eines Juden in die Gewalt der Römer war wohl kaum ohne
Zustimmung dieses Gremiums nachträglich zu rechtfertigen.
So stand Kajaphas vor der Aufgabe, nicht nur einen Fall für die
römische Kapitalsgerichtsbarkeit zu konstruieren, sondern auch
einen, der die Mitglieder des Hohen Rates, die nicht in dem
Komplott eingeweiht waren, von der Todeswürdigkeit Jesu
überzeugte.
Die Frage, ob Kajaphas, die Hohepriester und der Hohe Rat bei ihrem
Vorgehen auf dem Boden von Recht und Gesetz standen, ist in dieser
Ausnahmesituation zweitrangig. Die vorausgegangenen
Todesbeschlüsse waren es ja auch nicht gewesen.
Außerdem wissen wir aus dem Talmud, daß der Hohepriester
einen Ermächtigungsparagraphen benützen konnte, den man
unter dem Arbeitstitel Horaath Schaah, das heißt "Gebot
der Stunde" kannte.[lxxix]
Noch in nächtlicher Frühe trat also der Hohe Rat
zusammen. Jesus wird in Fesseln und bereits gezeichnet von
seinen Verletzungen vorgeführt. Gelassen erweckte der
Präsident vor den nächtens aufgeschreckten
Räten den Eindruck, daß trotz aller rechtlich
bedenklichen Improvisation und Hektik ein ordentliches
Verfahren beabsichtigt war.
Er überläßt ihnen und den sogenannten Zeugen die erste
Runde. Es könnten Fragen zu der provokanten Haltung Jesu
zum Sabbat aufgeworfen worden sein, sicher aber wurde Jesu
Tempelpolemik behandelt. Aber die windigen Zeugen fielen
um und die Vorwürfe erwiesen sich als nicht tragfähig.
Falsch wäre es sicher, dem Hohen Rat als Ganzes zu
unterstellen, von Anfang an leichtfertig mit dem Schicksal Jesu
umgegangen zu sein. Die Verwerfung der von Kajaphas
präsentierten Zeugen spricht eher für das Gegenteil.
Doch die Rechtsabwägung der Räte war für Kajaphas
und seiner hohepriesterlichen Clique nur ein im voraus
berücksichtigtes Schattengefecht, ein Bestandteil seiner
Strategie. Nach dem Zusammenbruch des Zeugenaufgebots sah er den
Zeitpunkt für seine persönliche Intervention und
Steuerung des weiteren Verfahrens für gekommen.
Herausfordernd stand er von seinem Präsidialsitz
auf und ging in die Mitte des Saales. Dort stand Jesus, gefesselt.
Kajaphas pflanzte sich dicht vor ihm auf -
Einschüchterungsmaßnahme und meisterhafte Regie,
die den erfahrenen Inquisitor verrät.
Zunächst versucht er das Schweigen Jesu zu allen Vorwürfen
und zu den falschen Zeugenaussagen zu brechen. Antwortest du nichts auf
das, was die da gegen dich vorbringen?
Doch Jesus schwieg weiter. - War der Grund die Verachtung dieses
schamlosen Machtmenschen, oder Vorsicht, oder das Wissen um
Aussichtslosigkeit - man hat Grund, alles zusammen
anzunehmen. Und Kajaphas konnte es im Grunde unwichtig sein, wie
der Nazarener sich verhielt. Sein Programm stand seit Monaten
fest, und jetzt war die Zeit da, es zu Ende zu bringen.
Mit einer theatralischen Beschwörung Jahwes ging der
durchtriebene Untersuchungsrichter zum wesentlichen Kern der
Verhandlung über. Er stellte die erste der beiden
Schicksalsfragen, deren Zwillingsschatten sich schon vorher
bei Hannas gezeigt hatten.
Bist du der Messias? - Es wäre naiv, anzunehmen, Jesus habe nicht
sofort erkannt, daß diese Frage, die für einen Juden kaum
eine juristische Bedeutung hatte, der Schlüssel für seine
Hinrichtung durch die römische Behörde war.
Zwar hatte er sich niemals als Messias bekannt. Doch seine Freunde und
Jünger und ein großer Teil des Volkes betrachtete sein
persönliches Charisma als messianische Auszeichnung. Dieses
Charisma und seine Gotteswelt-Verkündigung erschien vielen als die
Erfüllung alter messianischer Heilserwartungen.
Tatsächlich war der metaphorische Zusammenhang prophetischer
Heilskündung mit seiner Gotteswelt unübersehbar. Jesus war
sich aber der Gefahr des politisch-messianischen
Mißverständnisses immer bewußt gewesen und hatte
streng verboten, seine Person und Lehre in der Öffentlichkeit
messiaspolitisch zu deuten.
Nun aber wurde dieses Mißverständnis in den Händen
seiner Gegner als Mittel zum tödlich Zweck instrumentalisiert. -
Jüdische Ausleger weisen darauf hin, daß es nach
jüdischer Rechtspraxis gar kein
religionsgesetzliches Kapitalverbrechen war, sich für
den Messias zu halten.
Aber wer sagt denn auch, daß der gerissene Kajaphas Jesus von dem
jüdischen Synhedrium als Messias verurteilen lassen wollte? -
Dieser Kajaphas war alles andere als naiv. Die verfängliche
Messiasfrage war selbstverständlich der römische Teil seiner
Strategie.
Dieser Teil zielte darauf ab, Jesus als den im Land überall
bekannten Verkünder des Gottesreiches durch sein
persönliches Bekenntnis auch als Messias dieses Reiches zu
identifizieren - und zu denunzieren.
Der grobe Unterschied zwischen Jesu Selbstverständnis und
Gottesweltverkündigung auf der einen Seite und dem
politischen Rebellenmessianismus auf der anderen Seite,
mußte den Inquisitor gar nicht interessieren. Der Römer
Pilatus hatte für dergleichen sowieso kein Empfangsorgan.
Gelänge ihm also sein Trick, hätte er das Material in
der Hand, den Nazarener wegen Hochverrat vor den Präfekten zu
bringen. Und da garantierte eine messianische Denunziation
allemale dafür, den Römer zum Handeln zu zwingen.
Die Antwort Jesu läßt zunächst erkennen, daß man
ihn schon vorher um sein Wort gebracht hatte, daß ihm seine
Vorverurteilung keine Möglichkeit ließ, seine
Antworten zu präzisieren und sich zu verteidigen.
Wenn ich rede, schenkt man mir keinen Glauben, wenn ich eine Frage stelle, bekomme ich keine Antwort![lxxx]
Ob Jesus das umstrittene Danielwort von dem kommenden Menschensohn
tatsächlich angefügt hat oder nicht, das ist für die
Reaktion des Kajaphas unwichtig. Für den Inquisitor genügte
ohnehin die Tatsache, daß Jesus die klare Frage nicht
bzw. indifferent beantwortet hatte.
Und das wußte der gewiegte Taktiker ohne zu zaudern als ein
kaschiertes Ja umzumünzen. Das heißt, die Räte
hatten zu erkennen, daß sie soeben Zeugen geworden
waren, wie sich der Nazarener selbst als Messias bekannt hatte.
Und ohne einer weiteren Diskussion noch Raum zu geben wurde
sogleich die zweite Frage nachgeschossen. Sie war nun der
jüdische Part der Strategie des Kajaphas.
Bist du also der Sohn Gottes? - Wegen der Bejahung der
Messiasfrage hätte wohl keiner der Räte einen Juden an
die Römer verraten und ausgeliefert. Diese Frage aber hatte
für jeden fest in der Tradition stehenden Juden eine explosive
Schärfe.
Sie muß, um ihre historische Dimension zur Geltung zu bringen,
von allen christologischen Denkmustern abgetrennt werden. Kajaphas
und der Hohe Rat konnten unmöglich in den Kategorien der erst
später von Paulus entwickelten Christologie denken und fragen.
Die Frage nach Jesu Gottessohnschaft hatte einzig und allein
jüdisch-dogmatische Relevanz. In ihrem Hintergrund stand das,
was den Juden als gottgewollte Abgrenzung zu anderen Völkern
und Kulten galt, die Alleinzigkeit Jahwes.
Jeder männliche Jude bekannte zwei Mal am Tag: Höre Israel,
ER ist unser Gott, ER ist Einer. Eine Lehre, die aus dem
göttlichen Prinzip der Alleinzigkeit eine Mehrheit machte, sei es
auch nur durch die Abgrenzung eines göttlichen Sohnes von dem
Vatergott, lief auf Vielgötterei hinaus.[lxxxi]
So und nicht anders konnten und wollten Kajaphas und die Ratsmitglieder
ihre Frage verstehen. Sie zielte darauf ab, Jesus zu einen
kategorischen Verstoß gegen das monotheistische
Zentraldogma des Judentums, und damit zu einer elementaren
Gotteslästerung zu provozieren.
Kajaphas konnte diese Frage ebenso wie die Messiasfrage auf
beziehungsreiche Formulierungen Jesu stützen. In aller
Öffentlichkeit hatte er von Gott als Abba, seinem Vater
gesprochen.
Seinem innigen Verhältnis zu Gott hatte er Züge
einer beispielhaften Vater-Sohn-Beziehung verliehen. Sie
mußte eine besonders starke Resonanz bei seinen Jüngern
und Zuhörern gehabt haben.
Sie mußte auch so überzeugend gewesen sein, daß der
ebenso praktische wie falsche Schluß nahe lag: Einer der
Gott für den Vater hält, hält sich folgerichtig selbst
für den originären Gottes Sohn.
So haben es nicht nur die Jünger verstanden, sondern auch die
Schriftgelehrten. Im Johannesbericht wird erzählt, daß sie
Jesus einmal steinigen wollten, weil er sich, da er doch ein
Mensch sei, selbst zu Gott gemacht habe.[lxxxii]
Man kann sich also das gespannte, teils wohl auch erschrockene
Schweigen vorstellen, das in der nachtkalten Halle die Szene
beherrschte. Man kann sich die beiden unterschiedlichen
Männer vorstellen, die dicht voreinander in der Mitte des Saales
standen, Auge in Auge - der Inquisitor und sein Opfer.
Jesus mußte sich klar darüber gewesen sein, daß es im
Grunde gleich war, wie er die Antwort formulierte. Kajaphas und seine
Clique im Hintergrund würden sich das Konzept niemals mehr aus der
Hand reißen lassen.
Sie würden in jedem Fall den Handlungsverlauf bestimmen und jede
Antwort Jesu zu dem machen, was sie für erforderlich hielten,
wie soeben bei der Messiasfrage auch. Sie hatten sich in
Erfolgszwang begeben und alles auf eine Karte gesetzt, und diese
Karte diktierte ihre Handlung. Eine Wiederholung konnte es nicht
geben.
Zur Beantwortung dieser elementaren Frage brach Jesus sein Schweigen.
Er antwortete konzentriert und bedacht. Seine Formulierung hat
selbst die Überlieferer und infolge noch viele Ausleger und
Übersetzer in Verlegenheit gebracht.
Im ältesten Bericht des Markus lesen wir, Jesus habe
geantwortet: Du sagst es!. Mathäus legt diese Antwort bereits
aus und überliefert: Ich bin es! Und Lukas, der von sich sagt, er
habe sich bei allen Zeugen genauestens umgehört und alles
aufgeschrieben, überliefert die wohl für Jesus typische
Antwort: Ihr sagt, daß ich es bin.[lxxxiii].
Hieß das Ja, ich bin der Sohn Jahwes, der durch Inkarnation zu
einer Zweiheit geworden ist? Hat Jesus allen Ernstes damit das
jüdische Zentraldogma ausgehebelt? Hat er mit der
umschriebenen Bejahung bewußt Selbstmord begangen, in dem er
vor den höchsten Richtern laut und deutlich eine
Gotteslästerung ausstieß?
Wer Jesus durch die Evangelien begleitet, muß das für
unmöglich halten. Nicht nur, daß nirgends nachgewiesen
werden kann, er hätte je gefordert, ihn als originären Sohn
Jahwes zu glauben. Es existiert auch nirgends ein Beleg
dafür, daß er sich je in der einen oder anderen Form
als Sohn Gottes bezeichnet hatte.[lxxxiv]
Und bei aller Gesetzes-, Tempel- und Traditionspolemik, das
monotheistische Dogma von der absoluten Alleinzigkeit Gottes hat er
doch niemals erschüttert.
Wenn die Antwort Jesu also im Sinne der Anklage nicht "Ja, das bin ich"
heißen konnte, hieß sie dann "Nein, Nicht ich, sondern ihr
sagt das!"?
Wie wollte er dann aber das ihm ganz eigentümliche Verhältnis
zu Gott, das ja in der Öffentlichkeit landauf landab bekannt war,
erklären? Auf dieses Wissen baute doch auch die Fragestellung
des Kajaphas, eindeutig darauf abzielend, das mögliche
Mißverständnis zum Faktum zu verdrehen.
Daß man Jesus nicht Zeit geben würde, dem entgegenzutreten
und ihn erklären zu lassen, wie er das
Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Gott und ihm und allen
Menschen verstand[lxxxv], bedarf gar keiner näheren
Erörterung.
Jesus mußte also in seine Antwort sowohl sein Nein im Sinne der
Anklage, wie auch sein Ja im Sinne seines Selbstbewußtseins
und seiner Lehre in konzentrierter Kürze formulieren.
Dieser Problematik tragen meines Erachtens die Übersetzer und
Ausleger zu wenig Rechnung. Denn, sollte Jesus ausgerechnet in
dieser für sein Leben und sein Werk bedrohlichen Situation
von seiner sprachlichen Meisterschaft keinen Gebrauch gemacht
haben? Sollte er sich tatsächlich so platt und phantasielos
seinem diabolischen Widersacher in die Hände gegeben haben, wie es
die Übersetzungen oft vermitteln?
Analaysiert man den Lukastext grammatisch, dann hat Jesus die Frage
eher verneint und die Verantwortung für die Behauptung den
Fragestellern zugeschoben. Grammatisch korrekt übersetzt
hieße die Formulierung dann: Nicht ich sage es, Ihr sagt, ich
wäre es.
Aber der aktive Sprachgebrauch folgte nicht immer den
grammatischen Normen, besonders nicht in dem riesigen Bereich
der nachhellenistischen Vielvölkerkultur rund um das Mittelmeer.
Bringt man den Sprachgebrauch der griechischen
Allgemeinsprache also mit ins grammatische Spiel, dann schwingt in
der Antwort Jesu tatsächlich eine merkwürdige Sequenz
mit.
Dieses Sequenz läßt zusammen mit der grammatischen
gebotenen Norm die komplexe, wortwörtlich kaum noch
rekonstruierfähige Antwort erahnen, die Jesus den
Fragestellern gegeben hat. Ihre Komplexität läßt noch
heute ahnen, daß sie ein sprachliches Meisterstück gewesen
sein muß. Und sie läßt ahnen, wie schwer es für
die Evangelisten gewesen war, dafür ein Äquivalent in dem
griechischen Medium zu finden.
Um wieviel schwieriger muß es heute sein, den Satz in eine
moderne europäische Sprache zu transferieren. Ich habe mich
darum mit den Ausdrucksmitteln eines sprachlichen Laien
bemüht und biete Ihnen die folgende Form als Vorschlag und
zur weiteren Bearbeitung an:
Ich zitiere mich selbst: Ich selbst würde darüber niemals reden. - Ihr behauptet es.[lxxxvi] Zitat Ende.
Diese Differenzierung hätte einen anderen Richter zu
vorschriftsmäßiger Vorsicht und zu weiterer Nachfrage
bewegt. Aber der sadduzäische Hohepriester Kajaphas verhielt sich
charaktertreu, das heißt brutal und pragmatisch. Die Antwort
Jesu hatte klar JA zu heißen und sie hieß für ihn klar
JA.
Mit einer theatralisch beeindruckenden Inszenierung brach er in das
Schweigen im Saal ein und hemmte jede weitere Nachfrage.
Schauspielgerecht zerriß er sein Gewand als schreiendes
Zeichen des Ekels, eine Gotteslästerung gehört zu haben. Dann
rief er den noch sprachlosen Räten zu: Nun, was brauchen wir noch
Zeugen, wir haben doch die Gotteslästerung selbst
gehört.- Was meint ihr?
Wer über die Antwort Jesu noch nachdenken wollte, wer sich
überrumpelt fühlte und wer mit dem ganzen Verfahren nicht
einverstanden war, hatte keine Chance.
Schon die Spur einer eklatanten Gotteslästerung hatte an der
Substanz jüdischer Toleranz zu rühren. Kajaphas forderte
das ohne wenn und aber ein[lxxxvii], und bekam selbstverständlich,
was er wollte. Alle stimmten der Exekution Jesu zu, sagen die Texte.
Alle!
Wir wissen, daß einige Räte gegen das Verfahren waren. Was
aber zählte das bei einem Mann von der Dämonie des Joseph
Kajaphas? Jeder Verrat nach draußen war ausgeschlossen.
Dafür sorgte schon sein hohepriesterlicher Apparat.
Wir wissen es, und vielleicht wußten es die Räte auch schon,
daß sie in dieser Nacht nur sprachlose Marionetten gewesen
waren, geführt an den Fäden dieses sadduzäischen
Untersuchungsrichters im hohepriesterlichen Kleid.
Was sie zur Anklage motiviert hatte, die Vorwürfe über Jesu
Gesetzes- und Überlieferungspolemik, über seine
angebliche Zauberei und Lügenprophetie und über
seinen angeblichen Bund mit Belzebul, das waren in dieser Nacht
Marginalien, nichts mehr und nichts weniger.
Was kümmerte den Sadduzäer das halachische Gezänk der
Pharisäer? Was interessierte den hohepriesterlichen
Präsidenten des Gottesstaates das Gezische über Zauberei und
Wundertaten eines galiläischen Am-Haarez? Dafür und
für Geister- und Dämonenglauben hatten Sadduzäer
bestenfalls ein ärgerliches Lächeln parat.
Freilich, alles das war geeignet gewesen, die intriganten und
stimmgewaltigen Gesetzesfanatiker ins Gespann zu nehmen. Aber es
führte nicht dahin, wohin der Inquisitor den Nazarener haben
wollte, ans römische Kreuz auf Golgotha. Die
Verhandlungsführung und das erzeilte Ergebnis gab dem
raffinierten Politprofi recht.
Jesus hat diesen Mann verachtet, das spürt man. Joseph
Kajaphas aber hat Jesus gehaßt, das ist sicher. Welche Macht
war es gewesen, die diese beiden absolut konträren Menschen so
unbeirrbar und tragisch aufeinander zu führte? - Hat Jesus
diese Macht erfahren, damals bei seiner Tempelagitation - und gestern
Abend, im Garten am Ölberg?
Die Verhandlung Jesu bei Pilatus war ein Drama in 7 Akten. Es begann um
ca. 7 Uhr morgens und dauerte ungefähr 5 Stunden. Jesus
muß von den vorausgegangenen Mißhandlungen und der
Übernächtigung bereits völlig erschöpft gewesen
sein. Trotzdem zeigte er sich gelassen und gefaßt.
1. Akt: Übergabe Jesu und Anklage
In der Anklage der Priesterklique vor Pilatus wurde Jesus als
Verbrecher, als Volksaufwiegler, als einer, der die Leute davon
abhält, Steuern an Rom zu zahlen. und als einer, der sich für
den Messiaskönig hält, denunziert.
2. Akt: Verhör Jesu durch Pilatus und Jesu Gegenüberstellung
Pilatus interessierte, wie es Kajaphas strategisch richtig geplant
hatte, zunächst nur die Königsfrage. Jesus bestritt jedoch
politische Absichten zu haben. Sein Reich wäre kein
weltliches Reich, sagte er. Wäre es anders gewesen, hätten
seine Leute ihn nicht kampflos den Juden überlasen.
Das verstand der Römer. Schnell erkannte er auch, daß die
jüdische Seite ein Interesse daran hatte, diesen Mann zu
beseitigen. Er bemerkte wie sie nachschoben und Jesus bezichtigten, er
würde als Lehrer im ganzen Land von Galiläa bis
Judäa Unruhe stiften. - Als wenn das bei diesem Volk etwas
Neues oder gar Todeswürdiges wäre.
Jesus hatte für seine jüdischen Anklägern ohnehin kein
Wort mehr übrig. Pilatus wollte, brauchte aber eine Antwort. Doch
auch ihm gegenüber beharrte der Nazarener bei seinem
Schweigen zu den Anklagen seiner jüdischen Volksgenossen.
3. Akt: Da schickte Pilatus Jesus zu dessen Landesherren Herodes, der wegen des Festes in Jerusalem anwesend war.
Herodes war sehr gespannt darauf, diesen Jesus einmal
persönlich vor sich zu haben. Die vielen Fragen, die er an
ihn richtete, sind nicht überliefert. Daß er von ihm ein
Zauberkunststück sehen wollte, läßt aber ahnen,
von welcher inhaltlichen Qualität sie gewesen sein mochten.
Jesus jedenfalls quittierte den Unsinn mit Schweigen. Daraufhin
reagierte der Kleinkönig verärgert, ließ ihn als
König maskieren und schickte ihn so zu Pilatus zurück.
4. Akt: Pilatus wollte zu einem Ende kommen.
Besänftigend redete er auf die jüdischen Kläger ein
und erklärte: er und Herodes seien den Vorwürfen der
Aufwiegelei nachgegangen. Sie hätten aber keine
Anhaltspunkte für irgendwelche schuldhafte Verfehlungen
Jesu gefunden. Er wolle ihn deshalb züchtigen lassen und frei
setzen.
Aber die jüdische Seite widersprach heftig. Da kam der
Präfekt auf die Idee, sie vor die Wahl zu stellen, entweder den
Nazarener in Freiheit zu setzen oder einen berüchtigten
Räuber und Mörder. Die Hohepriesterclique wiegelte
den unschlüssigen Pöbel im Prätorium auf. Man
solle die Freigabe des Mörders verlangen, und für Jesus die
Kreuzigung.
Pilatus reagierte darauf irritiert. Mehrfach wollte er Genaueres
wissen, was der Nazarener eigentlich so Furchtbares verbrochen habe, um
diese Kapitalstrafe zu rechtfertigen. Darauf skandierte der Pöbel
nur: CRUCIFIGE EUM!
5. Akt: Pilatus unternahm einen letzten, brutalen Versuch, Jesus frei zu bekommen.
Er ließ ihn geißeln. Die Soldaten verbanden das mit
schweren Demütigungen und Mißhandlungen. Währenddessen
blieben die Hohepriester und der zusammengewürftelte
Pöbelhaufen im Vorhof des Präteriums. - Das war nicht
das jüdische Volk, konnte es gar nicht sein.
Nachdem die Söldner ihr Werk beendet hatten, brachten sie
Jesus zurück vor die Bema, dem Richterstuhl des Pilatus. Er
trug jetzt eine Krone aus Dornen, eine Spottmaskierung und war schwer
verletzt.
Der für seine Roheit verschriene Pontius Pilatus erwartete
Mitleid für diesen Mann und Einsicht von der Menge. Doch die
zeigte sich ungerührt und forderte grölend das
Schauspiel der Kreuzigung.
Nun reagierte Pilatus wütend und sagte, er könnte den
Nazarener nicht unschuldig verurteilen. Die jüdische Seite
sollte ihn doch selbst umbringen.
Aber die Hohepriester verwiesen scheinheilig darauf, daß Jesus
zwar jüdisches Gesetz gebrochen und demgemäß des
Todes schuldig sei. Sie könnten ihn aber nicht hinrichten,
weil die Römer ihnen die Kapitalsgericht abgenommen
hätten.
Beunruhigt fragte Pilatus Jesus nach seiner Herkunft. Doch
Jesus schwieg. Als Pilatus auf seine Macht über ihn hinwies,
relativierte Jesus diese Macht so überzeugend, daß
Pilatus ihn erst recht frei bekommen wollte.
6. Akt: Die Trumpfkarte
Die jüdische Seite ließ von ihrer Forderung nach der
Kreuzigung Jesu nicht ab. Der Pöbel grölte. Sollte sich der
Römer diesem Pöbel beugen und sich nachsagen lassen, er habe
willkürlich einen Menschen dem nach Blut schreienden Haufen
geopfert? Der tote Punkt war erreicht.
Da war wieder der Zeitpunkt für die indirekte Regie des
Inquisitors gekommen. Die jüdischen Seite rief Pilatus
zu: Wenn du den da freiläßt, dann wendest du dich gegen
deinen Kaiser. Denn jeder, der sich zum König ausruft, steht
an gegen den Kaiser in Rom.
Das war eine bösartige politische Erpressung - und diese Sprache
verstand der römische Präfekt. Der Vertreter des
römischen Imperiums ging vor dem diabolischen Geschick der
Vertreter eines unterworfenen Volkes in die Knie.
Was er nun noch folgen ließ, waren die Rückzugsgefechte
eines Erniedrigten. Höhnisch führt er der Menge den
übel geschundenen Nazarener mit Dornenkrone und
königlichem Spottkleid noch einmal vor und läßt
sich die Anklage bestätigen: Euren König soll ich
kreuzigen?.
Und dann bekam Pilatus, was er für seine Annalen brauchte: Wir
haben keinen König außer dem Kaiser! Das
schrieen ausgerechnet Juden, die wie kein Volk im römischen
Reich die Herrschaft Roms über ihr Land hassten. Das Drama
näherte sich dem Ende.
7. Akt: Das manipulierte Urteil
Pilatus war zwar gedemütigt aber auch gedeckt. Er setzte sich auf
den Richterstuhl, erklärte, daß er selbst die Schuld des
Nazareners nicht kannte und dem Druck der Anklage nachgab. Dann
verurteilte er ihn zum Tode am Kreuz.
Sechs Stunden später lag Jeschu ben Joseph aus Nazareth
fürchterlich zugerichtet im Grab eines Ratsherren in den
Steinbrüchen von Golgotha.
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