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 Siddarthas Aufbruch in die Hauslosigkeit

Johannes Lehmann

Legende vom Beginn des Buddha-Weges

 

Die Legende erzählt, daß Siddartha eines Tages den Wunsch hatte, eine Ausfahrt in die königlichen Garten zu unternehmen, und wie König Suddkodana (sein Vater) alles vorbereitet, damit sein Sohn nur Schönes zu sehen bekommt. Und wirklich: „Freudiges Entzücken erfüllte des Prinzen Herz, als er die wohlgebahnten und be sprengten Wege und die Bevölkerung in Festkleidern erblickte, auf ihn schaute die Menge, den schön geschmückten, und auf sein Gefolge.“

Aber ein Deva, ein Gott, störte die Harmonie, indem er einen allen, hinfälligen Mann am Wegesrand stehen ließ. Als der Prinz ihn sah, fragte er erschrocken den Wagenlenker: „Was ist das für ein Mann mit weißem Haupthaar, des Augen triefen, der ge krümmten Rückens entlang den Weg wankt, kaum noch mit einem Stabe den welken Leib noch mühsam aufrecht haltend? Hat plötzlich Hitze so ihm eingetrocknet den Körper, oder ist er schon geboren in diesem Zustand?“

In seiner Bestürzung weiß der Wagenlenker zunächst keine Antwort, bis er dem behüteten Prinzen die Wahrheit sagt: “Ver änderung des Aussehens, Verfall der Lebenskraft, des Kummers Wachstum, der Lust entschwinden, Abstumpfung des Geistes, Kraftlosigkeit der Glieder sind Zeichen von dem, was Alter heißt.

Ein Säugling war einst der Mann, an seiner Mutter Brust genährt, dann, voll von Lebenslust, ein schöner Jüngling ... doch mit den Jahren trat Verfall des Leibes ein, und jetzt hat Alter ihn ver wüstet.“

Bestürzt will Siddartha nun wissen: „Ist jener nur geknickt vom Alter, oder wird mir und andern es wie ihm ergehen?“ Darauf der Wagenlenker: „Auch Euer Hoheit Erbteil hat dies Schicksal. Im Lauf der Zeit verändert die Gestalt sich, der zweifellosen Zukunft kann nichts wehren. Hin durch die ganze Welt muß einst des Alters Gewand, die junge Form anlegen, das ist das allgemeine Los.“

Erschüttert bricht Siddartha die Ausfahrt ab und kehrt nach Hause zurück. Einige Zeit später unternimmt er eine zweite Ausfahrt, und diesmal begegnet er einem Kranken: „Ringend mit dem Tode stand er seitwärts am Wege, aufgeschwollen und entstellt war sein Leib, er stöhnte und ächzte, tief aufseufzend und verkrümmt und wund erschienen Hand und Knie. Er murmelt jammernd, wäh rend aus den Augen ihm Tränen liefen.“

Wieder fragt Siddartha den Wagenlenker, wer das sei und erfährt, daß dies ein Kranker ist. „Leidet allein der Mann hier sol ches, oder sind noch andere von gleicher Qual betroffen?“ will er wissen und erfahrt: „Hin durch die ganze Welt trifft die Men schen eben dieses Geschick, erdulden muß Krankheit eines jeden Leib, des Reichen und Großen wie des Armen und Beschränk ten.“

Voll Angst und Kummer und „geistig aufgeregt, dem Bild des Mondes im Wasser gleich, vom Wellenzug gekräuselt“, kehrt er nach Hause zurück: „Ist's möglich, daß leichtherzig und lustig in Unwissenheit  und Täuschung weltliche  Menschen leben, während Krankheit als Räuber jederzeit kommen mag?“
 
Auf einer dritten Ausfahrt begegnet er einem Leichenzug, und wieder fragt er naiv: „Was trägt man dort mit auserlesenen Blu men und Wimpeln, während sich, vom Gram bewältigt, das Haar zerrauft und jammert das Gefolge?“ Er erfährt, daß dies ein Toter ist: „Kein Gedanke ist bei ihm noch im Herzen, sein Verstand hat sich verloren, entflohen ist sein Geist, welk und verfallen ist die Gestalt, tot wie ein Holzklotz liegt er da ausgestreckt, zerrissen sind die Bande der Sippschaft.“

 
Und zum drittenmal fragt Siddartha: „Ist der allein gestorben, oder gibt es noch andre in der Welt des gleichen Zustands?“ Die Antwort war: „An allen Orten findet man seinesgleichen, wer ins Leben eintritt, verläßt es ebenso. In mittleren Jahren zwar stark und munter, geht er unvermeidlich dem Tode entgegen, weil er einen Leib hat.“
 
Nach diesen Begegnungen mit Alter, Krankheit und Tod ist ihm der Lebensmut entschwunden: “Verstörten Sinnes lehnt auf die Wagenbrüstung der Prinz sich und sprach mühsam stam melnd, weil ihm der Atem stockte: „Wie verderblich ist doch weltlicher Menschen Täuschung. Sorglos leben sie dahin, wäh rend sie überall den Leib in Staub zerfallen sehen.“

Suddhodana versuchte ihn aus seinem Trübsinn aufzumuntern, indem er ihn mit „Courtisanen“ umgab, „die ihn zu leichtfertigen Gedanken zu reizen suchten“, indem sie „unter leichter Hülle der Glieder Formen sichtbar werden ließen, zierlich in weichem Gange sich bewegend, so wie die Braut sich dem Verlobten zö gernd nähert, um das Gefühl der Liebe zu erregen“. Aber Siddat tha ließ sich auch von „üppigen Stellungen“ nicht reizen, sondern fühlte „zu ernstem Denken sich getrieben: Wußten jene denn nicht, wie bald der Jugend Schönheit schwindet, daß sie verblaßt im Alter und vergeht im Tode? ... Wahrlich, Alter, Tod und Krankheit, die sollten sie erwägen!“ 

Zum erstenmal angerührt von der Vergänglichkeit der Dinge und ihrer Unausweichlichkeit begann Siddartha zu grübeln: “Ver stört wie niemals früher, schlaflos bei Tag und Nacht, wie könnt' ich wohl nachjagen dem Vergnügen? Mich verzehren, die zweifel los gewiß sind, Alter, Krankheit und Tod; wär ich dabei ver schont von schweren Gedanken, dann müßt' ich ja ein Holzblock oder mein Herz ein Stein sein.” 

In diesem Zustand machte er eine vierte Ausfahrt und traf nun auf einen Mönch, der aus dem gleichen Erleben bereits die Konsequenzen gezogen hatte: „Traurig und bedrückt von dem Den ken an das Alter, Tod und Krankheit, hab' ich mein Haus verlas sen, um zur Rettung den Weg zu suchen ... Ich forsche darum nach dem Glücke dessen, was nicht verfällt und untergeht, was keinen Beginn des Daseins kennt, was Feind und Freund mit Gleichmut betrachtet, nach Reichtuni und Schönheit nicht fragt.“ 

Dann beschrieb er Siddartha, wo ein Mönch diesen Weg findet:

„Nur in der Einsamkeit, in unbesuchter Talschlucht, wo als Ein siedler er unbelästigt leben kann, der Welt nicht mehr gedenkend, den Leib notdürftig mit Almosen ernährend.“

Wie im Traum kehrte Siddartha wieder in die Stadt zurück, denn sein „Herz schon weilte fern im Waldgebirge“.

Zu Hause angekommen, war sein Entschluß gefaßt. Mit dem »tiefblauen Auge des Rinderkönigs, den Sinn erfüllt von religiösen Zielen, das Angesicht hellglänzend wie der Vollmond, sein Gang den Schrit ten gleich des Löwenkönigs: So trat er in den fürstlichen Palast ein“, um seinem Vater den Entschluß mitzuteilen.

Aber sein Vater versucht ihn davon abzubringen: „Noch ist für dich die Zeit nicht da, um religiös zu leben. Das führt gar leicht zur Störung des Gemüts, du bist noch jung und stark, dein Herz schlägt kräftig, zu dämpfen die Begierden ist kaum möglich...”

Noch einmal ließ Suddhodana die „Palastdamen“ kommen, aber sie tanzten und wiegten sich umsonst, und als sie nach vergeblicher Liebesmüh ermüdet im Palast einschliefen, erfaßte Siddartha erst recht der Ekel, als er sie so liegen sah: „Halbbekleidet lagen, vom Schlaf betäubt, sie in verdrehten Stellungen, gebeugt vornüber oder rücklings, ihre Musikgeräte ordnungslos daneben ... hingestreckt mit verwirrten Kleidern auf den Boden, als ohne Züchtigung empfangen sollten, oder wie Kaniblumen mit gebrochnem Stengel ... den Mund halb oder ganz offen, aus dem widerlich der Speichel herablief ... das Haar in wilder Unordnung, wie es bei Irrsinnigen zu sein pflegt... in wilder Ordnung hierhin und dorthin gestreckt, so lagen sie wie durcheinander geworfene Leichen.“

Für Siddartha, „gedankenvoll in seiner Schönheit stillsitzend“, wurde dieser Anblick zum letzten entscheidenden Anstoß. Er er kannte, daß die Welt nur Maja, nur Schein ist: „Vorher doch er schienen so äußerst lieblich sie, die Stimmen lachend, die Herzen leicht und froh, die Formen jung und gerundet, glänzend ihre Blicke.

Doch nun, welch ein Wandel - ohne Reiz, abstoßend häßlich! Ist das die weibliche Natur, wie ist es dann möglich, sie so hoch zu schätzen und ihr fest zu vertrauen? Auf falschen Schein und leere Vorspiegelungen! Nur Betörung und Täuschung bringen sie dem Sinne des Mannes.“

Die quälende Einsicht, daß der Schein nur trügt und hinter allem Alter, Tod und Leiden lauert, ließen Siddartha den längst vorbereiteten Entschluß endlich in die Tat umsetzen: „Ich bin aufgewacht zur Wahrheit und entschlossen, so trügerische Umgebung zu verlassen.“

Noch in der gleichen Nacht sattelte er sein Pferd und verließ Familie und Vaterhaus: „Nie kehr' ich wieder, wenn der Geburt, dem Alter und dem Tode ich nicht entfliehe...”

Siddartha war in die Hauslosigkeit aufgebrochen. Und „ehe der Morgen anbrach, lag Kapilavatthu schon drei Jodschana weit in seinem Rücken“.

Soweit die Legende, die in poetischer Form die Grundstimmung des Buddhismus wiedergibt. Aber die Erkenntnis von der Ausweglosigkeit des Leidens und der Vergänglichkeit war noch nicht die Erlösung selbst. Siddartha wußte jetzt das Ziel, aber noch nicht den Weg. Deshalb begab er sich zu den Einsiedlern in „unbesuchter Talschlucht“, um den Weg aus dem Leiden


Das Buddhaprojekt

Die vier edlen Wahrheiten
Die Grundlage der Buddha-Lehre
Das Regelwerk des Buddhismus, wie wir es heute kennen, ist eine Sammlung von Lehrreden, die nach dem Tod des Buddha von Schülern und Mönchen niedergeschrieben wurde.

Die Darstellung seiner Erkenntnisse zur menschlichen Existenz auf tiefenpsychologischer Grundlage ist vollkommen durchdacht, systematisch aufgebaut und absolut frei von Dogmen. So ist die ursprüngliche Lehre des Buddha für jeden Menschen, egal welchem Kulturkreis oder spirituellen Hintergrund er angehört, leicht verständlich nachvollziehbar.

Die vier edlen Wahrheiten umreißen die Grundsätze der Lehre des Buddha. Das gesamte Gebäude der Erkenntnis ruht darauf. Im Verständnis der vier edlen Wahrheiten beginnt der Erkenntnisweg, nur hier kann er fortschreiten und seine höchste Stufe erreichen.

Die erste edle Wahrheit beschreibt die Tatsache, daß alles im Leben von Leid geprägt ist. Bereits diese erste Aussage führt oft zu Missverständnissen und wird gerne fehlinterpretiert: Das Wort “Leid” ruft unangenehme Empfindungen und Abwehr-Reaktionen hervor. Wir wollen uns mit dem Begriff Leiden als einem negativen Gefühl nicht auseinandersetzen und widmen uns lieber positiven Aspekten des Lebens.

Allein schon durch diese Verleugnung gestaltet sich das Wort “Leid” zu einem der am häufigsten missverstandenen Begriffe in der Lehre. Und wie fast immer ist die oberflächliche Übersetzung des Begriffes aus den ursprünglichen Erklärungen des Buddha in unsere Sprache für diese Missverständnisse verantwortlich.

Leiden heißt auf Pali “Dukkha”, und  der Buddha hat erklärt, daß Dukkha von universeller Natur ist. Das heißt: Alles, was existiert, ist von Dukkha gekennzeichnet.

Die unterschiedlichen Arten von Leiden resultieren aus den fünf  Formen des Anhaftens, den “Skandhas”.

Die zweite edle Wahrheit ist die Wahrheit vom Ursprung des Leidens: Sie beschreibt, daß jedes Leiden eine Ursache hat. Die Hauptursache ist (neben Unwissenheit und Verblendung) das “Dürsten nach etwas” (Tanha):

1.  Das Dürsten nach einer Sinnesbefriedigung.
Dieses Dürsten drückt sich in zwei Formen aus, die das Leiden unseres Lebens ausmachen:
Etwas nicht zu bekommen, was man haben will. (Daraus resultiert Gier.)
Etwas zu bekommen, was man nicht haben will. (Daraus resultiert Haß.)
Diese Erscheinungsformen des Dürstens sind vergänglich, somit erzeugen sie Leiden.

2.    Das Dürsten nach Sein – Werden – Bleiben.
Hierin drückt sich unser Verlangen nach Beständigkeit aus. Da alles der Vergänglichkeit unterworfen ist, also nichts sein, werden und bleiben kann, erzeugt auch dieses Dürsten Leiden.

Die 3. edle Wahrheit ist die Wahrheit von der Aufhebung des Leidens. Diese Wahrheit sagt: Es gibt eine Möglichkeit, das Leiden (Dukkha) und allen Leidensursprung  zu überwinden: Nämlich durch systematisches Ausmerzen von Tanha. Sobald man nicht mehr begehrt und anhaftet, gibt es kein Leid mehr.

Der Schlüssel zur Leid-Überwindung ist die Befreiung von den 5 Skandhas.
Erst nach dem Aufhören von “Kamma” (Sanskrit: Karma) wird auch das Leiden aufhören.
Das Resultat des vollkommenen Erlöschens von Begierde (Tanha) ist Nibbana (Sanskrit: Nirvana). Das ist die definitive Befreiung, wo kein Rückfall in Samsara mehr möglich ist.

Die 4. edle Wahrheit ist “die Wahrheit vom Weg” (der zur Aufhebung des Leidens führt). Sie beschreibt die Mittel, den Weg und die Methode, wie die 5 Skandhas ausgelöscht und damit die Leidensursprünge überwunden werden können:


“Der Achtfache Pfad”, so wie ihn der Buddha in seiner ersten Lehrrede erklärt hat.
Die Glieder des Achtfachen Pfades:

Rechtes Verstehen

Rechtes Denken

Rechte Rede

Rechtes Handeln

Rechte Lebensgestaltung

Rechte Anstrengung

Rechte Achtsamkeit

Rechte Sammlung